Heineken Roeivierkamp 2023
Mittwochabend: Nach einer außerplanmäßigen und der ersten Nachmittagseinheit unter der Woche dieses Jahres nimmt mir meine Crew die Ausleger ab, zerlegt mich in zwei Teile, schnallt mich auf den Hänger und wünscht mir eine gute Reise. Ist also wirklich endlich Regattasaisonbeginn?! Juhu, mir juckt es schon ganz in meinem Bugball.
Freitagmorgen: Nachdem mein Nachbar Tampere auf den Hänger dazu gekommen ist, rollen wir auch schon los und rollen und rollen… bis nach Amsterdam, wow, hier war ich seit 2019 nicht mehr!
Samstag: Die Masters-Männer holen Tampere runter, aber ich muss angeschnallt und zerteilt liegen bleiben, wo sind meine Mädels nur? Tampere kehrt schließlich ganz stolz zurück und erzählt von seinem Rennen, da werde ich ganz neidisch.
Sonntag: Ähm hallo!? Der Platz um uns wird ganz schön leer, immer mehr Boote machen sich auf ihren Heimweg, nur wir stehen immer noch hier. Habt ihr uns etwa vergessen?
Dienstag: Ich mag es gar nicht so lange zerteilt und festgeschnallt zu sein und in der heimischen Bootshalle ist es auch viel gemütlicher als die ganze Zeit draußen auf dem Hänger. Hat sich darüber jemand von euch schon mal Gedanken gemacht? Scheinbar nicht, hmh?!
Donnerstag: Also wenn sie uns wirklich ausgesetzt haben, weil sie uns loswerden wollen, dann wenigstens Tampere auch und nicht nur mich. Der Jungspund denkt schließlich öfter mal er sei etwas Besseres und droht mir, dass ich eines Tages auch einfach so verschwinden werde wie unser Bootsnachbar Uwe letztes Jahr.
Freitag: Oh, wir sind nicht mehr allein, auf einmal rollen ganze LKW voller Boote an uns vorbei uns suchen sich einen Platz an der Straße. (…) Tampere, Tampere, schau, da sind die Mädels, ich sag doch sie haben mich nicht aussetzen lassen! Und jetzt wird der Spieß umgedreht: Während Tampere zunächst liegen bleiben muss, darf ich endlich runter, werde wieder zusammengebaut und darf sogar aufs Wasser, eine Runde auf der Amstel drehen, um meine Ausleger auszustrecken. Uiuiui, hier sind aber viele andere Achter unterwegs und das Wasser riecht ganz anders als das der Förde. Und der Ruderclub trägt sogar meinen Namen auf niederländisch – Willem III. Wie cool ist das denn? Nach unserer Ausfahrt bekomme ich einen Platz auf einer Wiese gemeinsam mit anderen Booten in einer der vielen Stellagen, ganz schön eng hier.
Samstag: Ich werde schon früh von Lärm geweckt und das Tohuwabohu um mich herum nimmt seinen Lauf, die Regatta geht los! Nachmittags kommt dann auch endlich meine Crew (Maj Seifert, Mona Flathmann, Lena Kraft, Charlotte Wolff, Anna Louisa Kollster, Jule Tannert, Leslie Matthiesen, Melanie Schäfer und Felix Eckel). Wir legen zum ersten Rennen ab und das mit hörbarer internationaler Anerkennung von den Mannschaften um uns herum, bei denen es wohl gängig ist, sich ins Boot zu setzen und rausgedrückt zu werden oder sich nur mit den Händen abzustoßen. Aber jetzt Konzentration, die 2500m stehen an, wobei wir erstmal eine Weile in der Startzone liegen (immerhin bei Sonnenschein) und warten. Der Grund ist aber eigentlich ein sehr schöner: So ziemlich alle niederländischen Boote, die schwimmen können, sind beim Roeivierkamp dabei plus internationale Crews aus der Schweiz, England, Irland, Frankreich, Norwegen, USA… Die Mädels jedenfalls kommen aus dem Staunen kaum noch raus, dass hier so viele Frauenachter am Start sind, während wir in Deutschland häufig froh sind, wenn es in unseren Rennen überhaupt eine einzige Gegenmeldung gibt.
Irgendwann geht es dann aber auch endlich los. Felix lenkt mich nicht nur mit sehr guten Linien durch die Kurven (zum Ärgernis des Bootes hinter uns), sondern schafft es auch durch geschickt platzierte Druck-10er die Konzentration und die Geschwindigkeit konstant hoch zu halten. Kurz vorm Ziel dann nochmal die Extramotivation zum Endspurt, denn Arne und Svenja stehen auf der Brücke, sodass nach gut 8 Minuten mit allerlei holländischen Rufen von den Fahrrad-Begleitkolonnen der einheimischen Crews nun auch einmal ganz laut „KIIIIIEEEEEEL“ zu hören ist. Rennen 1 von 4 ist damit geschafft, doch das zweite, der Sprint über 250m steht direkt danach an. Direkt ist aber auch etwas übertrieben, schließlich müssen wir und all die anderen Achter sich erstmal vor der neuen Startlinie sortieren und dabei möglichst nicht ineinander verkeilen, was nur durch ein ständiges Vor- und Zurück, Riemen reinnehmen, fremde Riemen wegdrücken und Mini-Wenden zu erreichen ist. Eine Pause ist mir armen Boot da leider nicht vergönnt, bis wir auch schon wieder Fahrt aufnehmen und so gut sprinten, wie es nur geht, wenn man das zugegebenermaßen in diesem Winter kaum geübt hat. Die Enttäuschung über ein suboptimales zweites Rennen weicht aber auch ziemlich schnell der Erleichterung, dass die Rennen für heute vorbei sind und es geht zurück zu Willem III. Für mich ab in die Stellage, für die Crew erstmal ins Hostel und dann noch in die Stadt zum Abendessen. Ob wir zum Abendprogramm nicht auch mal mitkommen wollen, werden wir Boote übrigens leider nie gefragt, dabei würde ich mir so einen Spaziergang an den Grachten vorbei doch recht lustig vorstellen.
Sonntag: Nach einer kurzen und vor allem sehr nassen Nacht für mich geht es heute Morgen früh los. Die 5000m Langstrecke ruft. Bevor wir uns dieser Herausforderung stellen können, steht allerdings erstmal eine andere Challenge an und zwar mich überhaupt heil ins Wasser zu kriegen. Am besagten Willem III gibt es nur einen einzigen Zugang zum Steg durch ein Tor, durch das zwei Boote überhaupt nur nebeneinander durchpassen, wenn beide komplett auf die Seiten gekippt auf der Schulter getragen werden und dann ist auch wirklich gar kein Spielraum mehr. Dementsprechend braucht es viele Augen, teils panische Stopp-Rufe und auch Hände, um meinen Bug und mein Heck zu schützen und ohne Bootsschaden auf Wasser und nach dem Rennen wieder zurück zu meinem Platz zu kommen. Die Crew (heute sitzt statt Lena Kraft Svenja Horn im Boot) muss dabei nicht nur über reihenweise Riemen steigen und auf einem Baumstamm balancieren, sondern auch durch Matsch und knöcheltiefe Pfützen waten. Aber die Mädels haben dazu gelernt: Socken hat an diesem Morgen niemand mehr in den Schlappen an auf dem Weg zum Steg, stattdessen werden die matschigen Füße dort erstmal im Amstelwasser gewaschen.
Angekommen in der Startzone lässt es sich an diesem doch recht kalten und nebligen Morgen um einiges ungemütlicher warten als noch am Vortag. Umso größer die freudige Ablenkung, als am Flussufer auf einmal zwei bekannte Gesichter auftauchen! Arne und Lena haben sich Fahrräder gemietet und werden uns begleiten. Mit einer 34er-Schlagzahl starten wir fliegend ins Rennen und bleiben zum späteren Unglauben der Crew trotz müder Beine vom Vortag auch so ziemlich das ganze Rennen darauf. Die 90°-Kurve ist anders als bei der Ausfahrt am Freitag mit unserem versierten Steuermann und ohne Gegenverkehr auch kein Problem mehr, sehr zur Freude der Steuerbord-Seite, die sich mental schon auf sehr viel Überziehen eingestellt hatte. Endlich im Ziel angekommen, geht es heute nicht direkt weiter zur Sprint-Strecke, sondern erstmal wieder zurück und erst nachmittags wieder aufs Wasser.
Entsprechend viel Zeit verbringen wir heute mit Warten, Reintragen, Raustragen (unter den beschriebenen Zuständen) und nochmal irgendwo Warten. Vor dem Sprint beispielsweise vor einer der Brücken, wo sich alle Boote sammeln, um in der genauen Startreihenfolge sortiert durchzufahren. Aber auch hier ist es wieder ein beeindruckendes Bild all dieser Boote vor der Amsterdamer Skyline. Das letzte Rennen mit der etwas merkwürdigen Distanz von 750 Metern müssen wir leider ohne ein gegnerisches Boot neben uns bestreiten, weil wir 11 Boote in unserer Division sind. Ob das etwas daran geändert hatte, dass uns hintenraus der Dampf ausgeht und die müden Beine und Arme und Hirne nicht mehr ganz so wollen wie sie sollen, bleibt offen. Fest steht, dass bei den Sprints auf jeden Fall noch einiges Potenzial ist, während die Crew mit den beiden Langstrecken am Wochenende durchaus zufrieden ist. Aber die Saison ist ja noch jung. Jetzt erstmal geht es ein letztes Mal zurück Richtung Willem III und durch das Matsch- und Boote-überall-Chaos zum Hänger. Während ich schließlich schon abfahrbereit festgeschnallt bin, müssen wir mal wieder auf Tampere warten, der noch mit einer Mannschaft von Allemania unterwegs war. Gegen 20 Uhr rollen wir endlich auf die Autobahn Richtung Heimat.
Montag: Home, home sweet home. Frisch gebadet und abgetrocknet geht es in die heimische Bootshalle, die eigene Stellage ist doch immer noch das Beste. Und wie schön endlich auch wieder Quattro, Bellvue und Co. zu sehen, denen muss ich erstmal erzählen, was ich alles erlebt habe in Amsterdam.
Willhelm Mohr, notiert von Melanie Schäfer