The Head of the Charles 2019

27. Oktober 2019 | Von | Kategorie: Regatta

Prolog

Als Bernd mich im April fragte, ob ich beim Head of the Charles steuern möchte, habe ich ohne jegliche Gegenfrage zugesagt. Die 4 Meilenregatta auf dem Charles River in Boston stand schon lange auf meiner To-Cox Liste. Mit rund 11.000 Teilnehmern und über 400.000 Zuschauern gilt sie als die größte Ruderregatta der Welt. Die Boote werden an 2 Tagen im 10 Sekundentakt von Sonnenaufgang bis -untergang gestartet. Rund die Hälfte aller Meldungen werden aus Mangel an Platz abgelehnt.

Mannschaftsfindung

„Toll, dann sind wir drei“ meinte Bernd. Etwas verdattert bemerkte ich, dass wir neben ihm und Gunnar für den geplanten Vierer dann ja noch 2 weitere Ruderer suchen müssten. Da die Meldung für Overseas Teams im Mai erfolgen muß, war die Zeit knapp, aber bald waren wir zu viert und die Meldung mit ausführlicher Rudevita akzeptiert. Es folgte ein Austausch von Mails der Freude über die Teilnahme und wie wir das Training angehen.

Plötzlicher Krisenanruf Bernds: Gregor (Name durch den Verfasser geändert) kommt nicht mit, da er ein Iranvisa im Pass habe. „Habe ich auch“ antwortete ich. Geht trotzdem nicht. Ok, einen Ersatz werden wir schon finden

Erneuter Krisenanruf Bernd: Udo (Name durch den Verfasser geändert) hat seiner Meinung nach nie zugesagt. Dieser schwere Fall von Meldealzheimer tut mir sehr leid, habe ich doch eine Mail von Udo erhalten, daß er sich freut von mir über die Strecke gesteuert zu werden. Dieses Vergnügen hat er nun lebenslang verwirkt.

Findet eine Regatta um die Ecke statt, ist ein Ersatz leicht zu finden. Und wenn nicht, geht lediglich das Meldegeld flöten. Hat man einen begehrten Platz beim HOCR und sind bereits Flüge in die USA von Ruderkameraden bezahlt, ist so ein Verhalten extrem unsportlich.

Szenenwechsel: am Morgen nach dem EKRC Sommerfest kommt Grommeck zum gemeinsamen jährlichen Blankenser Heldenlauf nach Hamburg: „Ab heute wird abgenommen, die Mannschaft steht, Lutz und ich sind dabei“. Mir fällt ein Stein vom Herzen, rund 6 Wochen vor dem Rennen steht nach 2 quälenden Monaten der Ungewissheit das Team: Bernd Klose, Gunnar Meyer, Harald Schulz, Lutz Besch, Jörk Schüßler

Die Vorbereitung

In Ermangelung eines Renn 4+ – die gute alte Transsibirische Sudelsau wurde schon vor Jahren außer Dienst gestellt – findet das Training ohne mich statt. In unterschiedlicher Besetzung wird an Technik und Ausdauer gefeilt. Ich versuche durch diverse Läufe eine Form zu bekommen, die es mir ermöglicht, mich in ein Boot mit liegendem Steuermann zu zwängen.

Das Boot

Wer eine Regatta fahren möchte, benötigt auch ein Boot. Auch hier sind gemeinsame Anstrengungen und Kontakte gefragt. Nach Durchlauf der Momente Panik, Verzweiflung und Resignation haben wir am Ende die Auswahl zwischen 4 Booten, die Lutz (NYC), Bernd (Wintech USA) und mir (Harvard und NEU) angeboten werden. Wir entscheiden uns für einen Pocock der Northeastern University.

Neues nach 40 Jahren

Am Tag vor dem Rennen wird die Coxwain Clinic angeboten. Dort werden keine Hühner geheilt, sondern Steuerleute geschult. Seit 1979 steuere ich Rennen, habe aber noch nie davon gehört, dass man für ein 5 KM Rennen für 15$ rund 90 Minuten Tips und Regelkunde bekommt. Mit rund 200 anderen Steuerleuten höre und sehe ich anhand von Videos und Karten, wie man sicher und schnell über die Strecke kommt. Die ehemalige Steuerfrau des US Achters erläutert Peilpunkte und Schwierigkeiten, während der Director of Rules über Do’s und Don‘ts aufklärt. Öffentliches Erleichtern im Stehen im Boot bedeudet sofortige Disqualifikation – gut zu wissen. Kein Verwiegen der Steuerleute – auch gut zu wissen. Am nächsten Tag wird sich die Teilnahme daran als goldwert erweisen.

Training

Bootshäuser in den USA unterscheiden sich zu denen in Europa zuerst einmal schlicht durch ihre Größe. Unseres, das Bootshaus der Northeastern University, liegt direkt am Charles River und beherbergt rund 24 Rennachter sowie 8 Rennvierer. Des Weiteren hängen ein paar Einer und Zweier unter der Decke. Gigboote sind unbekannt. Wir nehmen unseren 4+ von Pocock, der auf den Namen Schroeder hört, in Empfang und stellen mit Schrecken fest, dass er auf Steuerbordschlag geriggert ist. Erfreulicherweise dürfen wir umriggern und auch die Riemen für unsere Bedürfnisse einstellen. Kurz nach 17:00 Uhr kommt Grommeck direkt vom Flughafen ins Bootshaus. Nun aber schnell auf’s überfüllte Wasser, denn um 18:00 Uhr müssen wir schon wieder an Land sein, da ab dann der Fluss gesperrt ist. Wir testen das Boot und steuern ein paar neuralgische Punkte der Strecke an. Es gibt direkt an einer Brücke eine 90 Grad Kurve sowie eine 180 Grad Kehre auf rund einem Kilometer, die dann wieder in eine Kurve mit Brücke führt. Schnell noch ein paar harte Schläge und um 18:00 Uhr legen wir wieder an. Wir haben gerade noch die vorzeitige Disqualifizierung vermieden. Das Boot hat zwar etwas gewackelt, aber alles ist gut. Nach über 20 Jahren mal wieder einen Vierer-mit zu steuern ist ungewohnt, ich bin aber froh, dass es nicht so eng ist, wie ich es in Erinnerung hatte.

This is a coxing race

Die Anreise am Morgen gestaltet jeder nach seiner Art. Lutz verinnerlicht die Strecke bei einem Spaziergang, Gunnar und Bernd kommen im Auto, während Grommeck und ich unversehens und nicht ganz Greta-gerecht in einem Limo SUV Schlachtschiff vorfahren. Der Fluss ist schon voll, seit kurz nach 7 Uhr laufen die Rennen. Es ist einer schöner Morgen: Sonne, kristallklarer Himmel und 8 Grad – Indian Summer pur.

Wir gehen die Strecke durch und ich erkläre der Mannschaft, was ich am Tag zuvor gelernt habe. Kurve um Kurve, Überhol- und Überholtwerdenregeln. Dann geht es auf’s Wasser. Selbst die Fahrt zum Start ist genau geregelt. Man kann sich bei Missachtung der Regeln viele Strafminuten oder schlimmstenfalls den Ausschluss einhandeln.

Endlich startet unser Rennen: 37 Boote in der Altersklasse 50+. Jedes Boot wird einzeln zum Beschleunigen aufgefordert und dann mit einem individuellen Spruch auf die Strecke geschickt. „Erster Kieler, your start is now, have a good race“. Noch nie bin ich so motivierend ins Rennen geschickt worden. Die ersten Kilometer können wir unser Rennen ungestört fahren. Das ist gut, um sich einzugrooven. Kurz vor der Weeksbridge, eine der kritischen Stellen, greifen wir in das Renngeschehen ein. Wir haben mittlerweile zu 2 Booten aus New York und Washington vor uns aufgeschlossen. Von hinten drängt eine Crew aus Chicago. Die nächste Brücke bietet Platz für die Durchfahrt von nur einem Boot. Beruhigend auf die Mannschaft wirken und auf ins Gefecht, sagte ich mir! Im wahrsten Sinne des Wortes wühlen wir uns durchs Feld, kommandieren die anderen Teams so, dass wir Platz haben und halten Chicago auf Distanz. Kurz vor der Brücke verringern wir die Fahrt, um nicht mit dem nächsten Team vor uns zu kollidieren. Dann alleine durch die Brücke und nach rund 700 Metern können wir nun auch den Narragansett Boat Club aus Rhode Island überholen. Der Hauptsponsor der Regatta zeigt keine Ruderer in seiner Anzeige, sondern eine Steuerfrau – mittlerweile verstehe ich warum. Die letzen 1 1/2 Kilometer können wir Ideallinie fahren. Chicago drückt, kommt aber nicht mehr auf. Als wir durchs Ziel fahren, entweicht mir „geiles Rennen“. Wir sind als 5 Individuen mit unterschiedlichen Erfahrungsleveln ins Rennen gegangen und als Team im Ziel angekommen. Am Ende haben wir Platz 25 von 37 erreicht. Wir sind zufrieden, denn in unserer eher richtigen Altersklasse 60+, zu der uns nur 1 Jahr fehlt, hätten wir Platz 9 belegt.

Da war doch noch mehr EKRC

Kurz vor uns ist Gaby mit ihrem Schweizer Team vom Ruderclub Belvoir Zürich gestartet. Einer der Gegner war eine komplette ehemalige Olympiamannschaft, was das Niveau der Regatta zeigt. Die Zielsetzung Top 4 wurde mit Platz 6 knapp verfehlt, bei einem Feld von 39 Frauenachtern 50+ allerdings sehr beachtlich. Schön war, dass wir kurz vor dem Ziel durch Gabys Mannschaft lautstark supported wurden.

Epilog

„Regatta Time ist Miller Time“ hieß es früher. Das gilt aber schon lange nicht mehr. Es wird wenig gemillert und ein Bier kann man erst genießen, wenn man 10 $ Eintritt für eine Lounge bezahlt, sich dann für 7 $ einen Chip kauft und diesen gegen eine Dose Bier tauscht. Das geht in Europa dann doch deutlich einfacher.

Da unser Rennen am Samstagvormittag war, hatten wir genügend Zeit, andere Ruderer zu beobachten. Von den Brücken, aber auch an der Strecke wird einem die unglaubliche Dimension der Regatta bewusst. Jeder Teilnehmer darf nur einmal starten, dadurch sind viele Ruderer eher an Land, als auf dem Wasser. Die Universitäten und Colleges stellen einen Großteil der Starter und kommen teilweise mit mehreren Trailern, die von riesigen SUV Pickups gezogen werden. Es gibt fast einen Kilometer lang Stände mit Booten, Zubehör und Ruderklamotten. Rund 1600 Helfer kümmern sich um die Organisation.

Am Abend lassen wir den Tag bei einem gemeinsamen Essen in der Worden Hall ausklingen. Mit der Gewissheit, die erste reine EKRC Mannschaft zu sein, die je beim Head of the Charles gestartet ist, verabschieden wir uns nach New York, Maine, Prag und Kiel.

Jörk „Chimpy“ Schüßler

Mehr Head unter https://www.ekrc.de/aktuell/head-of-charles-ii/

2 Kommentare zu “The Head of the Charles 2019”

  1. Bernhard Kaczenski sagt:

    Chimpy,
    vielen Dank für Deinen tollen Bericht.
    So werden Legenden geschmiedet.
    Dein Bericht macht Lust auch einmal dabei zu sein.

  2. Heiner Wenk sagt:

    Superguter Bericht.
    Macht Appetit

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