Bodensee im Zeichen des Omega

16. September 2023 | Von | Kategorie: Aktuell, Freizeitsport

Der Bodensee – unendliche Weiten. »Was wird man dort schon spannendes rudern können?« Diese Frage ging mir durch den Kopf, als ich im Frühjahr die Ausschreibung am Schwarzen Brett hängen sah. Einmal links herum, einmal rechts herum, einmal gerade rüber? Ich schwanke zwischen langweilig und überambitioniert. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass über den Bodensee keine Brücken verlaufen, meldete ich mich kurzerhand an, diese Frage durch persönliche vorort-Recherche selber zu beantworten.

Dann kommt die Mail von Martina mit dem akribisch ausgearbeiteten Ablaufplan: Strecken, Rastplätze mit Lokalen, Stadtführungen, Lagerplätze für die Nacht einschließlich Buslinien und Abfahrtzeiten für die Rückfahrt bis hin zu Reservierungen für das Abendessen: Alles akribisch ausgearbeitet und minutiös geplant.

Beim Nachfahren der Routen auf der Landkarte muss ich feststellen, dass der Bodensee doch gar nicht so eindimensional ist, wie ich ihn im Kopf hatte. Wir werden uns am westlichen Ende des Sees herumtreiben, wo er sich in Untersee, Gnadensee, Überlinger See mit entsprechenden Buchten und Nebenarmen aufteilt und interessante Touren verspricht. Und dieses Mal keine Fahrerei mit Clubbus und Bootsanhänger – wir reisen mit leichtem Gepäck. Nachdem im letzten Sommer die Ruderer von der Frankfurter Rudergesellschaft Sachsenhausen bei uns mit an Bord waren, haben Martina und Martina (die »Martinis«) von der FRGS die Organisation übernommen, wir setzen uns in das gemachte Boot.

Anfang September, Anreise am Sonntag, wie immer ein bunter Mix an Reisewegen und –Mitteln. Das Gros der Kieler kommt mit der Bahn, am Bahnhof von Radolfzell empfängt uns direkt am Bahnsteig wieder der Blick auf Wasser – morgens noch Förde, jetzt der Bodensee. Alle sind rechtzeitig da zum ersten gemeinsamen Abendessen im stilvollen »Strandcafé«, Sonnenuntergang mit Kitschpotential inbegriffen.

Unsere Wanderfahrt steht im Zeichen des Ω. Nachdem in der Vorwoche noch eine Gruppe Wanderfahrer in gleicher Region weitgehend abgesoffen ist, soll uns nun Hoch »Patricia«, flankiert von zwei Tiefdruckgebieten, also eine sogenannte »Ω-Wetterlage«, eine Rückkehr des Sommers bescheren.

Aufbruch in der »Kadima«

Mittagspause im Strandcafé »Heimathafen« in Gaienhofen. Nach dem Essen (der Wurstsalat ist der Renner) Boote neu eingeteilt. Die »Kadima« macht sich auf zu einem weiteren Abstecher Richtung der Rheinfälle von Schaffhausen. Die Mannschaft der »Terza« schnappt sich ihr Boot – und legt es in sein Nachtlager. Wir tauschen Rollsitze gegen Liegestühle, genießen Sonne und kühle Getränke und warten auf die Rückkehr der »Kadima« – Zeitvorgabe: 16:30, denn um 17:00 fährt der Bus. Martina hat den Zeitplan stets im Blick!

Die »Kadima« ist ein finnisches Kirchboot mit acht Ruder- und zwei bis drei Sonnenplätzen. Es stammt ursprünglich aus Finnland und wurde, wie die Bezeichnung  schon besagt, früher als Verkehrsmittel genutzt, um u.a. am Sonntag mit Großfamilie oder Dorfgemeinschaft zur Kirche zu rudern. Wir haben uns für die achtsitzige Variante entschieden, ergänzt, im Sinne möglicher Abwechslung, um den Gig-Vierer »Terza«. Das große Schwesterschiff »Karisma« mit 14 Ruderplätzen haben wir aus mangelnder Flexibilität verworfen.

Unsere Gastgeber von der »Rudergemeinschaft See mal Rhein« erläutern uns das Handling des Bootes – Wassern wie Einsteigen folgen bestimmten Abläufen. Wir rudern paarweise nebeneinander im Stile einer Galeere mit festen Riemen ohne aufzudrehen. Die Stemmbretter sind rustikal aber genial einfach: eine Konstruktion aus M8-Maschinenschrauben und Klettriemen hält die Füße. Immerhin gibt es, im Gegensatz zur Galeere, Rollsitze.

Einmal auf dem Wasser ist das Boot erstaunlich flott und wendig unterwegs. Mit auffrischendem Wind kommt die Welle, bis hin zu Schaumkronen, aber das Boot pflügt sich vertrauenserweckend stabil im Wasser. Kurz werden Vergleiche mit Coastal-Rowing laut, doch im Coastal-Boot läuft das Wasser schnell wieder hinaus, hier gar nicht erst hinein.

Die erste Runde schließt sich

Am Dienstagmorgen erst einmal ausschlafen, unser Bus fährt erst um 9:25. Heute rudern wir in einen perfekten Sommermorgen. Spiegelglatt liegt der See vor uns, kein Lüftchen regt sich. Über uns fliegt eine V-Formation hinweg – eine Schar Gänse auf dem Weg in den Süden? In der Ferne, im Dunst am Horizont, lässt sich die Silhouette der Alpen erahnen, weiße Wolken quellen über die Gipfel hinunter ins Tal. Und über dem See, Richtung Westen, lässt sich die Reinkarnation der Faszination »Hindenburg« bewundern: Ein Zeppelin zieht, wie eine silbrig glänzende Zigarre, seine Kreise über dem Bodensee. Dieser Anblick soll uns die nächsten Tage noch öfter begleiten.

Entlang des Schweizer Ufers geht es weiter in Richtung Westen. Eine Badepause auf Schweizer Seite muss leider ausfallen, der Strand ist dem momentanen Hochwasser zum Opfer gefallen. Später lernen wir, dass der Wasserstand im Bodensee durchaus um zwei bis drei Meter schwanken kann.

Also hinüber zur Insel Reichenau, immer darauf bedacht, nicht weiter als 300m vom Ufer entfernt zu rudern – dann müssten wir die mitgeführten Schwimmwesten anlegen. Reichenau – Mittags- und Badepause, dann zurück nach Radolfzell. In Ufernähe bekommen wir wieder karibisch blaues, kristallklares Wasser mit Blick bis hinab auf den Grund. Heißt der Bodensee etwa Bodensee, weil man auf den Boden sehen kann?

Am späten Nachmittag schiebt sich der Bug der Kadima neben ihrem Schwesterschiff in den weichen Grund. Der erste Kreis schließt sich.

Heißer Ritt den Rhein hinauf

Die heutige Etappe führt uns nach Konstanz, durch den Rhein mitten durch die Stadt. Über die Strömung bei der Fahrt durch den »Konstanzer Trichter« ranken am Vorabend viele Horrorgeschichten, die Erzählungen schaukeln sich immer weiter auf, so dass empfindsame Gemüter mit Träumen von Vierer-verschlingenden Strudeln, Rudern auf der Stelle und meterhohen Wellen eine unruhige Nacht verbringen.

Doch am nächsten Morgen zunächst wieder spiegelglattes Wasser. Einzig unsere Heckwelle verschwindet gen Horizont. Eine entfernte Dampferwelle unterbricht die Gleichförmigkeit, die Assoziationen reichen von »wie ein wogendes Gewand« (weiblich) bis zu »Wellblechdach« (männlich) – beides passt irgendwie.

Kurze Pinkelpause auf der Reichenau, dann die erste Prüfung für die Steuerleute: Wir queren den Straßendamm zur Insel in einer engen Durchfahrt. Mit »Ruder lang« passt die Kadima zwar hindurch, aber mit dem Stechpaddel bewegt sich da wenig. Also kreative Kommandos gefragt.

Anschließend Kurs auf Konstanz. Zunehmend macht sich die Strömung bemerkbar, eine letzte Trinkpause, bevor wir in den Rhein hineinrudern. Die meiste Zeit ist die Strömung moderat, insbesondere am Rand des Fahrwassers. Erst die letzten 500m unter der alten Rheinbrücke steigt der Adrenalinspiegel, wir müssen uns mächtig ins Zeug legen, um gegen Strömung und Wellen anzukommen. So schnell, wie er gekommen ist, ist der Spuck vorbei und wir gleiten auf dem Obersee unserem heutigen Ziel, dem »Strandbad Hörn«, entgegen.

Im Hotel »zur alten Post« nehmen wir unser Gepäck entgegen, welches Martina und Michael in mehreren Touren während unserer Fahrt aus Radolfzell hierher überführt haben. Frisch geduscht erfahren wir anschließend interessante Details aus dem Leben von Kurtisanen und Konkubinen in Konstanz in Zeiten des Konzils. Ein Rundgang, der einen Bogen spannt von Barbara von Cilli über Vampire und Graf Dracula, Küssen für Gesäßabdrücke bis hin zur »Imperia«, die seit 1993 neun Meter hoch und 18 Tonnen schwer über der Hafeneinfahrt rotiert, alle vier Minuten ein Mal.

Der große See

Wir queren den See Richtung Überlingen, der Blick schweift über die endlosen Weiten des »Obersee«, den Teil, der landläufig mit dem »Bodensee« assoziiert wird.

In Seefelden ausgiebige Rast mit Option auf eine weitere Zeitreise. Sind wir gestern im finsteren Mittelalter unterwegs gewesen, so laden heute Rekonstruktionen von Pfahlbauten aus der Region zu einem Besuch verschiedener Epochen der Stein- und Bronzezeit ein.

Die Blumeninsel Mainau präsentiert sich uns zunächst mit langweiligem Wald. Schließlich öffnet sich doch noch der Blick – ein Wasserfall plätschert den Hang hinab in ein buntes Blumenfeld. Wir machen Fotostop und werden selber zum viel beachteten Fotomotiv. Genug gesehen, weiter zurück Richtung Konstanz.

Abschied von der Kadima

Das Wassern der Boote geht, trotz des Steilen Ufers unseres Lagerplatzes, inzwischen flott über die Bühne. Auf zurück Richtung »Konstanzer Trichter«. Volker steuert uns hinab durch die Stromschnellen und ist entsprechend aufgeregt. Kein Grund – heute Morgen ist die Passage vergleichsweise harmlos.

Weiter zurück Richtung Reichenau. Die geplante Umrundung fällt dem Blaseninnendruck zum Opfer und wir nehmen wieder die Abkürzung durch den Damm. Geht schon deutlich flüssiger, trotz erhöhter Schwierigkeit durch entgegenkommende Kanus, bleibt doch, trotz »Ruder lang« kaum eine Handbreit Platz in der Durchfahrt.

Die Hitze ist mörderisch. Gnadenlos brennt die Sonne vom strahlend blauen Himmel, kein Lüftchen regt sich. Die Segler dümpeln mit schlaffen Segeln vor sich hin. Also ausgiebige Pause an unserem Lieblingsplatz im Strandbad Reichenau, schwimmen, essen und erholt weiter gen Radolfzell.

Ein zweites Mal schieben wir den schweren Bug der Kadima sanft in den Strand neben ihrer Schwester »Karisma«. Waschen, trocknen – dann heißt es Abschied nehmen von unserem treuen Begleiter, wie auch unserem Gastgebern von der Rudergesellschaft.

Warum wird in Konstanz morgens gerudert?

Die Karisma ist heute vergeben, daher leihen wir uns heute drei Gig-Vierer bei der Rudergesellschaft »Neptun« in Konstanz. Es ist später Vormittag, als wir, direkt im berüchtigten »Trichter« die Boote zu Wasser lassen. Das Wasser ist unruhig, die Passage hinaus auf den See erfordert volle Konzentration.

Samstagnachmittag, bestes Sommerwetter: Gefühlt fast alle Boote sind auf dem Wasser. Wer nicht ankert und in der Sonne liegt, der düst über den See, im stetigen Bemühen, ein Maximum an Wellen zu erzeugen. Die Fahrtenordung auf dem Bodensee scheint vorzuschreiben, dass zu jeder Zeit mindestens ein PS-starkes Motorboot mit Vollgas über das Wasser brettern muss. Über dem See liegt ein ständiges Röhren der Motoren – der Sound grenzenloser Freiheit.

Kurze Rast in der Schweiz, dann geht es wieder zurück, noch einmal durch den turbulenten Rhein. Nach erfolgreichem Anlegemanöver (Wende und gegen den Strom) haben wir jede Menge Wasser im Boot. Nun wissen wir auch, warum der Verein neben Gig- und Rennbooten auch einige Coastal-Boote im Stall hat: Für die Spätaufsteher. Denn richtig rudern ist hier eigentlich nur in den frühen Morgenstunden möglich. Die Lage des Vereins an der Stelle der stärksten Strömung im Rhein  erscheint uns so doch als eine echte Spaßbremse.

Gemeinsames Abendessen zum Abschied, das Abendprogramm reicht von Kultur (Stummfilm mit improvisierter Begleitung auf einer Kirchenorgel) bis zum gemeinsamen Absacker in einem der Biergärten.

Damit endet eine ereignisreiche Woche auf und am Bodensee. Vielen Dank, liebe Martinis, für die perfekte Organisation und Vorbereitung. Die Messlatte für folgende Fahrten habt Ihr damit sehr hoch gelegt!

Hans-Martin Hörcher

Was sonst noch so einfällt:

  • Der Bodensee bietet mehr, als ich erwartet abe. Mann muss nur die richtigen Ecken besuchen.
  • Wer meint, auf der Kieler Förde sei viel los, der sollte einmal Samstagnachmittag auf dem Bodensee rudern.
  • Rudern im Kirchboot ist entschleunigt und sehr kommunikativ.
  • Der See bietet an jeder Ecke umfangreiche Bademöglichkeiten, Strände und Strandbäder. Man muss nur die Augen offen halten.

1 Kommentar zu “Bodensee im Zeichen des Omega”

  1. Nina sagt:

    So ein schöner Bericht, Hans-Martin! Man hat eure Eindrücke bei der Lektüre richtig vor Augen und spürt die Atmosphäre. Die Fotos sind auch wieder einmal phantastisch! Einfach toll! Das muss eine wunderbare Woche gewesen sein!

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