»Gondole Gondole!« – Selbst ist der Mann!

19. Juni 2016 | Von | Kategorie: Freizeitsport

Rudern in Venedig

Ein Besuch in Venedig, dazu gehört natürlich auch die Sicht vom Wasser aus, klassisch natürlich auch eine Fahrt mit der Gondel durch die großen und kleinen Kanäle der Stadt. Als aktive Ruderer wollen wir allerdings nicht einfach nur dem überall in der Stadt omnipräsenten Ruf »Gondole Gondole!« folgen und uns durch von einem der gestreift uniformierten Gondole durch die Stadt chauffieren lassen. Nein, wir wollen natürlich das Ruder selber in die Hand nehmen.

Unseren Treffpunkt im Nordwesten der Stadt, abseits der großen Touristenströme, erreichen wir gerade noch pünktlich, denn trotz genauer Planung haben wir uns in dem Gewirr enger Gassen und kleiner Kanäle hoffnungslos verlaufen. Nach kurzem Warten kommt Caroline, unsere Lehrerein, in ihrer Gondel den Kanal hinauf.

Die Gondel, die heute das Stadtbild von Venedig beherrscht, ist um Lernen ungeeignet, weil zu instabil. Daher werden wir in einer » batellina coda di gambero« rudern. Caroline erzählt uns zunächst etwas über das Boot, ein Nachbau jener Lastenkähne, die auf alten Gemälden von Venedig das Stadtbild beherrschten. Mit Einführung des motorisierten Transports sind diese Lastengondeln aus dem Stadtbild verschwunden, heute werden von Liebhabern noch sechs Schiffe dieses Typs auf den Kanälen Venedigs betrieben. Wir rudern zu zweit, der Schlagmann steht vorne. Nach kurzer Einweisung übernimmt einer von uns Schülern den vorderen Riemen und los geht es den Kanal entlang hinaus auf die Lagune. Der Bewegungsablauf ist vertraut, ungewohnt ist nur, dass wir im Stehen und in Fahrtrichtung rudern. Gemütlich geht es durch die die ruhigen Kanäle hinaus aus der Stadt in Richtung Lagune.

An jeder Kreuzung ruft Caroline laut »a stagando!«, »a premando!« bzw. »de longo!« – um sich bemerkbar zu machen aber auch um anzusagen, ob wir rechts, links oder geradeaus fahren werden. Die Vorfahrtssregeln sind die gleichen,  wie wir es als Ruderer gewohnt sind, nur dass auf den Kanälen wenige Segler unterwegs sind, auf die wir achten müssten. Ungewohnt ist auch, dass zwar Rechtsfahrgebot besteht, nicht aber für die Gondeln. Diese fahren links, damit sie Steuerbord mit ihrem Riemen genügend Freiraum in den engen Kanälen haben. Und besonders gefällt mir: Motorboote müssen bei Begegnung mit Ruderbooten das Tempo reduzieren. Das funktioniert erfreulich gut, denn Ruderboote haben in Venedig eine andere Tradition, als bei uns im Norden. So geht auch die alljährlich stattfindende »Vogalonga« auf den Protest gegen die zunehmende Verdrängung der »voga« (Ruderer) durch die Motorboote zurück.

Auf der Lagune übernehme ich dann den hinteren Riemen und damit die Verantwortung für den Kurs. Im Gegensatz zu vorne, wo man im Boot steht, ist die hintere Position erhöht auf dem Heck im ersten Moment recht wackelig und die Schläge sind auf Grund der Höhe kürzer. Die Koordination entspricht der eine Riemenzweiers und bald sind wir eingespielt, so dass wir es schaffen, den Kurs auf die benachbarte Glasbläserinsel Murano einigermaßen gerade zu halten. Schnell haben wir das Gefühl, das Rudern zu beherrschen.

Um uns herum wuselt der Bootsverkehr entlang der markierten Fahrstraßen. Wassertaxis rauschen vorbei, die Vaparetto ziehen ihre Bahn und auch eine Ambulaca rast mit Blaulicht und Martinshorn in einem Affenzahn an uns vorbei in Richtung Hospitale – Rushhour in Venedig. Doch meist genießen wir die Ruhe auf der abendlichen Lagune. Die Sonne spiegelt sich in dem grünlich schimmernden Wasser, über der Silhouette der Industrieanlagen auf dem Festland türmen sich imposante Gewitterwolken und gegenüber über der Nachbarinsel erstrecken sich eindrucksvolle Wolkenbilder über den Himmel.

Neben uns zieht eine Sportgondel vorbei. Routiniert treibt die Mannschaft den Zweier voran, bei dem Tempo können wir noch nicht mithalten. Caroline ist auch Regattaruderin. Sie erklärt uns, dass die meisten Regatten in Zweiergondeln ähnlich dieser ausgetragen werden, vereinzelt werden auch Vierer- und Sechsergondeln. Gegen Abend sind in der Regel auf der Lagune viele Freizeitruderer in solchen Booten unterwegs.

Zurück im Kanal übernimmt Caroline wieder den hinteren Riemen. Denn zur sicheren Beherrschung des Bootes in den engen Kanälen muss sie nun die Vielfalt der Forcola, der Riemengabel voll ausspielen. Die Forcola ist ein eigenes kleines Kunstwerk, in dem sich die Jahrhunderte Erfahrung venezianischer Gondelbaukunst vereinigen. Sie werden in kleinen, speziellen  Werkstätten in der Stadt gefertigt. Der Riemen liegt offen in einer der Mulden, um sich zum Vortrieb abzudrücken. Wird es eng, legt der Gondolere den Riemen in die untere Mulde, zum Bremsen oder Steuern wird der Riemen an der Rückseite der Gabel angelegt. Dies ist zwar verdammt kompliziert, aber nur so hat der Ruderer genügend Flexibilität, um in den engen Kanälen sicher zu manövrieren. Mit unseren fest in der Dolle eingelegten Riemen wären wir Ruderer hier sehr schnell am Ende.

Und so manövriert Caroline uns durch die abendlichen Kanäle. Auf den breiten Gehwegen herrscht reges Treiben. Die wenigen Touristen, die sich in diese Ecke der Stadt verirren, haben sich längst verzogen und so bevölkern die Venezianer die Gassen vor den zahlreichen Bars, Restaurants oder Osterias. Caroline scheint hier jeden zu kennen. Immer wieder ein »Chiau« und ein kleines Pläuschchen, während wir  entspannt dahingleiten.  An einem freien Platz legen wir an, neben einer zweiten Gondel, in der gerade Nan einem frisch getrauten Ehepaar aus Kanada das Rudern beigebracht hat.

Bald  kommt Caroline mit einer Platte belegter Sandwiches aus der nächsten Bar und so genießen wir die Abendstimmung, in der einen Hand ein leckeres Schinkensandwich, in der anderen ein Gläschen Prosecco, das Nan inzwischen aus den Tiefen ihrer Gondel hervorgezaubert hat. Die Abendsonne scheint über den Kanal. So lässt es sich leben!

Lange nachdem unsere offizielle Zeit eigentlich um ist, brechen wir schließlich auf und rudern die Gondel zurück in den Hafen. Dort machen wir fest und lassen Caroline und Nan mit dem Bootsdienst zurück.

Wenn Ihr auch einmal nach Venedig kommt, bucht unbedingt unter rowvenice.org einen Gondelkurs. Ob mit oder ohne anschließendem Essen, es lohnt sich! Nur den Kurs mit Gesang gibt es noch nicht, aber Caroline meine, wir dürften auch so singen, wenn wir uns trauen…

Hans-Martin Hörcher

5 Kommentare zu “»Gondole Gondole!« – Selbst ist der Mann!”

  1. Andreas sagt:

    Moin Hans-Martin,

    erst kürzlich habe ich im Buch „Vom Rudern auf Venezianischen Booten“ gelesen und nun dein Erlebnisbericht dazu. Tolle Bilder, schöne Eindrücke von euch. Infos zum Buch unter http://civv-info.org/erstes-lehrbuch-ueber-venezianisches-rudern-erschienen/

    Schöne Grüße
    Andreas

  2. Johannes sagt:

    Hallo Hans-Martin,
    ein wirklich schöner Bericht, row-venice kennen wir natürlich auch und wir sind befreundet mit einigen der Instruktorinnen. Ebenfalls sehr schöne Fotos auch von der Stimmung in Canareggio.
    Ja, wie Andreas König sagt, kann ich unser Buch nur sehr empfehlen und gegen eine Spende an unseren Dachverband CIVV versenden wir auch an Interessierte gern ein Exemplar zu.
    Ach ja, in Stade rudert mit einer Gondel unser Freund Uwe ‚Carlo‘ Kunze, also nicht so weit von Euch.
    Herzliche Rudergrüße aus Frankfurt am Main
    Johannes

  3. Brigitte sagt:

    Wow, toller und inspirierender Bericht !
    Brigitte

  4. Helga sagt:

    Hallo Hans-Martin
    Super Bericht und Fotos. Beim Lesen möchte man am liebsten sofort einen Flug nach Venedig buchen und das Rudern selbst ausprobieren.

  5. Johannes sagt:

    Hallo, alles zusammen
    ja, wie gesagt, kann man auch bei uns in Frankfurt am Main venezianisch rudern lernen, dann ist man bei der nächsten Venedigreise schon ein bisschen präpariert.
    Info unter
    http://www.frg-germania.de/germania/venezisch-rudern/
    oder unter
    http://civv-info.org/bilder/civv-2013-in-frankfurt-2/

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