Tag 6
02.11.2019
Vorlauf und B-Finale
Wir befinden uns mitten in der Regatta. Der zweite Renntag! Das Losglück war leider nicht auf unserer Seite. Niklas und Maximilian waren mit ihrem sechsten Platz im gestrigen Vorlauf im Lostopf für den letzten Platz im A-Finale – ohne Erfolg. Sie starten heute im B-Finale des Männer Doppelzweiers. Vorher jedoch hat der gesteuerte Männer Doppelvierer seinen ersten Auftritt auf dem Kurs im Victoria Harbour.
Ein wenig Nervosität ist schon vorhanden, als wir vor Sieben aufstehen und uns bereit machen. Das Frühstück fällt leider aus, wir müssen zusehen, dass wir zum Regattaplatz kommen. Außerdem ist es sowieso nicht hilfreich, sich vorher den Bauch am Buffet vorzuschlagen. Stattdessen essen wir vorsichtig ein paar Rosinenbrötchen. Das geht. Das erste, was auf unserem Plan steht, als wir die Strecke erreichen ist die Registrierung. Dort müssen wir mithilfe unseres Reisepasses beweisen, dass wir wirklich wir sind. Nicht, dass da noch jemand anderes für uns ins Boot steigt…
Der nächste Wegpunkt ist der Bootsplatz. Dort stehen die Boote des Miet-Pools. Vierer, Zweier und Einer. Alle mit unterschiedlichen Deckfarben. Uns wird ein blaues Boot zugeteilt. Wir haben noch ausreichend Zeit, um die Höhen der Dollen, die Länge der Skulls, die Position des Stemmbretts und die Höhe der dort befestigten Schuhe zu kontrollieren und zu verändern, um sie an unsere Körpergrößen und Vorlieben einzustellen. Dann werden die Kennungs-Aufkleber aufgeklebt. Im Coastal Rudern gibt es keine Startnummern auf dem Bug wie es normalerweise der Fall ist. Die würden wahrscheinlich in der nächstbesten Welle von Boot gewischt werden. Stattdessen werden große Aufkleber an beiden Seiten des Bugs befestigt. Dort steht die Länderkennung sowie der nationale Rang. In unserem Fall ist das „GER 01“. Diese Aufkleber sind einfach zu erkennen, selbst, wenn das Boot in der Welle verschwindet.
Dann darf der Steuermann auf die Waage. Wie auf allen Ruderregatten müssen Steuerleute mindestens 55 kg wiegen. Wir gehen da mit 65 kg „auf Nummer sicher“. Jetzt ist eigentlich alles bereit für das Rennen. Nur noch die Rennshirts und den Einteiler anziehen (plus die Schwimmweste für Steuermann Felix), Sonnenbrille auf und ran ans Boot. Mit unerreichter deutscher Pünktlichkeit legen wir als allererster Vierer drei Minuten vor der eigentlichen Wasserzeit vom Steg ab und machen uns auf zum Einfahrkreisel. Das ist ein durch Bojen abgesteckter, 680 m langer Rundkurs auf dem wir uns warm fahren können.
Drei Minuten vor dem Start beginnt die Startprozedur. 50 m hinter der Startlinie die durch zwei Bojen markiert wird und etwa 200 m breit ist liegt das Starterschiff. Begleitet von drei Tönen aus dem Signalhorn steigen drei rote Bälle in die Luft. Jetzt beginnt das Rennen eigentlich schon. Die Startlinie ist zwar noch nicht frei gegeben (es gibt sogar 2 Minuten Zeitstrafe, wenn wir die jetzt schon berühren würden) aber das Rennen um die besten Position an dieser Linie ist eröffnet. Anders als im Segeln ist hier eigentlich keine Seite der Linie bevorzugt. Jedoch treiben uns Wind und Strömung eher auf die linke Seite des Kurses. Wir bleiben also lieber etwas weiter rechts liegen – in ausreichendem Abstand zu den Bojen. Bloß nicht durch den Wind zu früh heran getrieben werden. Zwei Minuten vor dem Start wird ein Ball wieder herunter gezogen, begleitet von zwei akustischen Signalen. Während wir noch genug Platz zum Start haben, müssen einige Boote schon den Rückwärtsgang einlegen um der Zeitstrafe zu entgehen (dabei riskiert man, dass das Boot über das offene Heck geflutet wird – nicht zu empfehlen). Noch eine Minute. Ein roter Ball verbleibt am Starterschiff. Vor uns ist die Startlinie frei, wir rudern langsam heran und ordnen uns neben Griechenland und Großbritannien ein.
Dann kommt die letzte Hupe und das Rennen ist eröffnet! Wir sprinten los. Nach 9 Schlägen fangen wir uns den ersten Krebs. Hoppla. Nicht der perfekte Start. Das Tempo ist hoch und der Platz zwischen den Booten viel zu eng. Wir können uns jedoch wieder fangen, aber fahren kurze Zeit später in die Briten hinein. Beide Steuerleute können allerdings einsehen, dass eine Kollision für keines der Boote einen Vorteil bringen würde und ziehen jeweils etwas zur Seite. Mittlerweile haben sich zwei Felder gebildet. Wir fahren zu diesen Zeitpunkt – etwas mehr als einen Kilometer im Rennen – so gut wie sicher im A-Finale (dafür qualifizierten sich die besten 8). Vor uns sind Italien, Spanien, Großbritannien 1 und Griechenland nur wenige Bootslängen entfernt. Großbritannien 2 (mit denen wir uns bereits letztes Jahr in beiden Rennen duelliert haben) liegt direkt neben uns. Wir feuern weiter zur zweiten Boje. Da haben wir die Außenbahn – und damit die schlechtere Position. Griechenland zieht in der Kurve etwas davon und auch Großbritannien 2 kann vorbei fahren. Doch das war bloß auf den ersten Blick ein Nachteil für uns. Wir haben nur wenige Meter auf die Briten die wir auf den folgenden 260 m fast schließen können. Jetzt liegen wir auf der Innenbahn für Boje 3 und die 70 m zur Nummer 4 ist viel zu kurz für irgendein Boot um unseren Vorsprung auf diesem kurzen Sprintstück aufzuholen. Die Briten liegen nun sicher hinter uns. Die Position Nummer 5 haben wir hier sicher. Das Rennen ist eigentlich schon vorbei. Wir müssen nur noch 1,7 km ins Ziel rudern. Rythmisch und kraftvoll. Unser Fazit: die erste Strecke war immer noch zu zaghaft. Das ist der Teil, in der die Entscheidung bereits fällt. Mit den Wellen mussten wir ganz schön kämpfen, aber jeder ist auf dem Rollsitz geblieben und wir haben auch nur ein paar Mal die Kontrolle über die Skulls verloren…
WIr können uns jetzt vor der großen Leinwand erholen und die Übertragung der folgenden Rennen verfolgen. Eines davon ist das zweite B-Finale des Tages. Hier werden die Plätze ab 17 ausgefahren. Niklas und Maximilian sind mit dabei. Bevor sie die Startprozedur durchlaufen können müssen sie sich etwas gedulden. Nur wenige Minuten vor dem Start muss der kleine Hafen um den An- und Ablegesteg gesperrt werden, weil ein großes Arbeitspontoon von zwei Schleppern vorsichtig dort vorbei manövriert wird. Diese großen Pontoons werden ihr in Duzenden über den Hafen geschippert. Da der Hafen von Hongkong viel zu klein geworden ist und es zusätzlich an Land fehlt, werden einige Containerschiffe mit diesen Pontoons auf See ab- und beladen – eine Technik die nur hier zum Einsatz kommt.
Das Rennen wird um einige Minuten verzögert, damit die restlichen Boote die noch am Steg festhängen auch die Chance haben sich warm zu fahren. Als die drei Bälle am Starterboot aufsteigen machen die beiden in ihrem Zweier alles richtig und halten sich auf der weniger frequentierten Seite weit weg vom Start. Erst im letzten Moment fahren sie an die Linie und kommen als erstes Boot auf die Strecke. Alles läuft perfekt – bis sie sich auf den Weg zur ersten Boje etwas versteuern und mit dem Boot aus Hongkong kollidieren. Beinahe bekommen sie den Skull des gegnerischen Boots voll ins Gesicht. In letzter Sekunde können sie sich wegducken. Aber die gute Position ist damit verloren. Sie können ein paar Meter wieder aufholen, aber der Abstand zu dem jetzt führenden Boot steigt auf über 300 m. Ganz knapp kommen Niklas und Maximilian auf Platz 8 auf ihren ersten World Rowing Coastal Championships ins Ziel!
Bislang sind die Proteste und Demonstrationen die hier mittlerweile seit vielen Monaten stattfinden und auf den Einfluss der chinesischen Regierung auf die ehemalige britische Kolonie und Sonderverwaltungszone Hongkong zielen größtenteils an uns vorbei gegangen. Das mag vor allem daran liegen, dass wir hier noch kein Wochenende verbracht haben. Heute ist Samstag. Auch in der Vergangenheit waren die Tage des Wochenendes auch die Zeiträume der intensivsten Protestaktionen. An diesem Samstag waren zwei Demonstrationen in Stadteilen auf beiden Seiten des Regattaplatzes um den Royal Hong Kong Yacht Club angemeldet. Uns wurde geraten, die Demonstrationen abzuwarten und den Abend auf der Terasse des Clubs zu genießen. Der Blick von dieser Terasse die mit diversen Stühlen, Sitzecken und diverser Botanik ausgestattet ist, wird umso eindrucksvoller je weiter die Sonne hinter dem Horizont verschwindet.
Mit der Zeit beginnen die hohen Bürotürme sowohl auf der anderen Hafenseite in Kowloon als auch die Wohnblöcke direkt hinter uns in Causeway Bay zu leuchten. Die hellen Werbeanzeigen überstrahlen das Wasser und das höchste Gebäude in Hongkong, das International Commerce Centre, verwandelt sich in eine über 450 m hohe Lichtlaufleiste auf der Werbebotschaften nach oben laufen. Die Protestaktionen sollen den Abend noch über längere Zeit anhalten. In Absprache mit dem Regattakommitee, das die Situation sehr sorgfältig auf diversen Livestreams beobachtet entscheiden wir aber gegen halb 8 abends, dass es sicher ist, zum Hotel zurück zu laufen (Wo wir auch problemlos ankommen).