Nach insgesamt 14 Flugstunden ist das Ziel in Sicht. Nach einem Flug von Hamburg nach Amsterdam, einen sehr großen Sprung über den Atlantik, Grönland, die Labradorsee und die Tundra Kanadas nach Vancouver und einem kleinen Hüpfer nach Vancouver Island, taucht die kleine Propellermaschine aus den tiefhängenden Wolken und setzt im regnerischen Victoria auf.
Niemand weiß mehr so richtig, wie spät es eigentlich ist und wie lange wir schon auf den Beinen sind. Aber der Körper schreit mittlerweile nach Schlaf. Nur noch eine kurze Taxifahrt und wir sind in Sidney – der kleinen Stadt an der Ostküste Vancouver Islands, einige Kilometer nördlich der größten Stadt, Victoria. Doch davon bekommen wir nicht mehr viel mit, die Betten in unserer Hotelsuite sind einfach zu verlockend.
Punkt um 12 Uhr war die Strecke für das Training frei gegeben. Auch die großen Tetraeder-förmigen Bojen, die den 4 km Rundkurs markieren, waren bereits ausgelegt. Die ersten Schläge in dem neuen Boot waren sehr ungewohnt. Zwischen diesem und dem Trainingsboot in Kiel gibt es doch einige große Unterschiede.
Zunächst fällt uns auf, dass das Boot viel anfälliger für Wellen ist – das wird ein Rennen bei Bedingungen wie heute erschweren. Dafür ist der Wendekreis und Manövrierfähigkeit wahrlich beeindruckend.
Der Regattakurs besteht aus fünf Steuerbord- und einer Backbordwende. Hinzu kommt die Gezeitenströmung. Sie erreicht bis zu 2 m/s und muss berücksichtigt werden indem an der nächsten Boje etwas „vorbei“ gesteuert wird, um auf dem kürzesten Weg zu bleiben. Wir haben nun noch zwei weitere Trainingstermine um uns mit diesen – teilweise ungewohnten – Bedingungen vertraut zu machen.
Ein weiteres Training startete den Tag. Ab sofort ist die Regattastrecke ab 8 Uhr morgens frei gegeben. Heute allerdings ohne Wellen. Der Wind ist wieder eingeschlafen und so gab es nur noch die Strömung die den Kurs des Bootes beeinträchtigte. Das machte das Training einfacher und wir konnten uns mehr an das Boot gewöhnen. Das Boot steht uns den Tag für eine zweistündige Trainingseinheit zur Verfügung.
Doch wie sollten wir den Rest des Tages füllen? Das Wetter zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Eine kleine Wanderung wäre bestimmt eine gute Idee. Es gibt viele Provincial Parks in der Nähe. Doch wie kommen wir dahin? Die Busverbindungen konnten uns leider nicht helfen. Doch direkt um die Ecke liegt der Flughafen Victoria. Dort sollte es kein Problem geben, einen Mietwagen zu finden.
Da wir sechs Personen sind, ist uns mit einem Kleinwagen natürlich nicht geholfen. Und hier gibt es exakt zwei Autogrößen: Kleinwagen oder komplett überdimensionierter SUV. Also gab man uns „das größte Auto auf dem Parkplatz“. Damit haben wir ohne Probleme eine halbe Stunde später einen Park mit vielen Wanderwegen erreicht. Da Vancouver Island doch sehr hügelig ist, war die Wanderung zu einer verlassenen Goldmine und einer alten Eisenbahnbrücke sogar eine nette zweite Trainingseinheit.
Der letzte Trainingstag. Noch einmal früh morgens um acht Uhr auf das Wasser. Es ist wieder windstill und in der Ferne fließt der Morgennebel über die Inseln. So schön das aussieht, wenn dieser Nebel aber in den nächsten Tagen auch den Rennkurs erreichen sollte, dann dürfte der Regattaablauf gehörig durcheinander geworfen werden. Denn bei Nebel lässt es sich schwer rudern – Sonst müssten wir noch einen Kompass mit ins Boot nehmen.
Dieses Training nutzen wir um uns mit dem Startprozedere vertraut zu machen. Zum ersten Mal auf einer Coastal Weltmeisterschaft wird ein sogenannte Beach Start ausgetragen. Also ein Start direkt am Strand. Dazu schwimmen die Boote unmittelbar hinter der Wasserlinie im Wasser. Die Mannschaft darf erst mit dem Startsignal in das Boot steigen und los rudern.
Der Strand hier in Sidney ist ein Steinstrand und er fällt sehr steil ab. Das ist für die Einer und Zweier kein Problem. Wohl aber für unseren Vierer. Wenn der Bugmann neben seinem Platz im Wasser stünde, bräuchte er beinahe einen Schnorchel, so tief ist das Wasser an dieser Stelle bereits. Das hat zum Glück auch die FISA erkannt, und so darf der Bugzweier des Vierers bereits im Boot sitzen. Der Rest muss jedoch aussteigen – teilweise bis zur Hüfte ins 10 – 12°C kalte Wasser.
Und dann heißt es schnell reinspringen, in das Stemmbrett, dabei nicht vom Rollsitz fallen, dann in die Startauslage und gemeinsam auf die Strecke. Wir brauchten ein paar Anläufe, bis wir das flüssig hinbekamen. Als Belohnung gab es dann aber einen herzlichen Applaus von den am Strand stehenden Freiwilligen des Orga-Teams. Nun sind wir gerüstet für morgen! Der Vorlauf kann kommen.
Im Anschluss an das Training war erst einmal eine warme Dusche notwendig. Unsere Füße waren total abgefroren. Vielleicht könnte man eine Coastal WM auch mal in der Karibik austragen? Wie bereits geschildert, hatten wir nur diese eine Trainingseinheit an diesem Tag. Den Nachmittag haben wir in Form einer „aktiven Erholung“ an einem Strand verbracht, der so sehenswert war, dass wir gerne noch ein paar Zeilen darüber verlieren wollen.
Das Auto das wir gestern gemietet hatten, stand uns noch den ganzen Tag zur Verfügung. Wir nutzten es um in den 60 km entfernten East Sooke Regional Park zu fahren – Ein großer Regionalpark an der Juan de Fuca Straße im Südwesten Vancouver Islands. Ein lockerer Spaziergang durch einen gigantischen, Farn überwucherten Urwald führte uns zu einer malerischen Bucht mit einem kleinen Kieselstrand und einer Insel in ihrer Mitte. Wir erreichten sie zwar nicht ganz trockenen Fußes, aber dafür war die Aussicht von den Felsen dieser Insel auf die Meerenge und die gegenüberliegenden Olympic Mountains schon surreal schön.
Wir wussten gar nicht, wo wie überall hinschauen sollten. Möwen, Adler, Seehunde, Seelöwen und Wale – es gab so viel zu sehen. Dazu gab es einen Blueberry Pie und ein paar Cookies. Wir wollten den Nachmittag nirgendwo anders verbringen und brachen erst wieder auf als die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war. Das war dann auch spät genug – schließlich sollte es nicht schaden, rechtzeitig für den Vorlauf ins Bett zu gehen.
Das Kieler Coastal Team
Janine Howe ― Simon Kuwert ― Henning Maiwirth ― Jakob Grafe ― Max Kölling ― Felix Eckel
© Fotos & Text: Felix Eckel