Wie ich zu meinem ersten Ruderrennen kam

16. Oktober 2023 | Von | Kategorie: Aktuell, Regatta

„Quer durch Berlin“ aus der Sicht eines Regatta-Neulings

Prolog

Genau genommen begann es für mich im Februar 2023. Nina machte mich auf eine Trainingsgruppe aufmerksam, die sich bereits im frühen Winter zusammengefunden hatte. Unter der ambitionierten Anleitung von Ingmar trafen sich jeden Samstagmorgen ein paar kälteresistente Menschen, die sich in einem gemischten Riemenachter technisch verbessern wollten. Da das Riemenrudern ohnehin einen besonderen Reiz auf mich ausübte und ich das Ende der Ruderpause im Winter – wie schon in den vorherigen Jahren – inzwischen herbeisehnte, kam mir ihr Hinweis gerade recht.

Seit einigen Wochen hatte ich an den Übungseinheiten im Ruderbecken teilgenommen und dadurch von Jimmy ein grundlegendes Verständnis für die Riementechnik erhalten. Theoretisch scheint es einfach, aber die praktische Umsetzung erfordert einen längeren Atem. Schön, wenn dies auch in „echtem Wasser“ trainiert werden kann! Schnell noch ein paar Tipps zur angemessenen Kleidung angefragt und los ging´s.

Ich war von Anfang an begeistert. Das Rudern bekam eine neue Dynamik für mich: regelmäßig mit sieben anderen Rudernden im Boot zu sitzen, konzentriert an der Verbesserung der Technik zu üben und dabei immer ein wenig die Anspannung zu spüren, den gemeinsamen Takt nur nicht zu stören. Das kann fast ein wenig berauschen – besonders wenn es ab und an für ein paar Augenblicke gelingt ;-)

Mit der Einführung der Klubraum-App endete das mühsame Verabreden über diverse Messengerdienste. Die Trainingsgruppe festigte sich zu einem harten Kern und einem lockereren Kreis weiterer Interessierter, so dass wir das ganze Frühjahr aufs Wasser gehen konnten. Mit zunehmender Sonnenscheindauer wechselten wir auf einen Abendtermin unter der Woche – der Mittwochsachter war geboren.

Als Ingmar Ende Mai erstmals den im November stattfindenden FariCup in Hamburg erwähnte und davon sprach, dort gerne mit einem Boot starten zu wollen, gab es ein anzustrebendes Ziel: 7 km mit bis dahin ungewohnt hoher Schlagzahl. Ist das zu schaffen? – Ich wollte es versuchen und hatte somit eine weitere Trainingsgruppe: einen Männerachter, der in der Regel von Jimmy gesteuert wurde. Dieses Team fuhr ebenfalls im V8, dem mir inzwischen recht vertrauten Gig-Boot. Fortan war also für mich möglichst jeden Dienstag- und Mittwochabend sowie ab und an morgens am Wochenende ein Training im Riemen-Achter fest eingeplant.

Im Männer-Achter tauchte Mitte Juli der Vorschlag auf, bereits Anfang Oktober bei der traditionsreichen Regatta „Quer durch Berlin“ zu starten. Das ansonsten auf der Spree nicht zulässige Rudern wird für einen Nachmittag zwischen Charlottenburger Schloss und Bundeskanzleramt erlaubt und zwar nur für die an der Regatta teilnehmenden Ruderboote. Für alle anderen ist das Befahren der Spree währenddessen ausgeschlossen. Ein verlockendes Angebot!

Meinem anfänglichen Zögern wurde mit diversen Überredungsbemühungen begegnet, so dass ich letztendlich doch schnell zusagte. Angesichts meiner fehlenden Erfahrung, die angepeilte Schlagzahl über die erforderliche Dauer halten zu können, blieb der Respekt vor dieser Herausforderung allerdings bestehen. Ob es an Urlauben, an ungünstigen Ruderbedingungen, an beruflichen Verpflichtungen lag oder woran auch immer – es gelang uns kein einziges Mal eine Trainingseinheit in vollständiger Regattabesetzung durchzuführen.

Es wird ernst

Schließlich war es soweit. Das Abriggern und Verladen der Boote erledigten wir am Donnerstagabend. Insgesamt waren in diesem Jahr vom EKRC drei Achter und zwei Vierer gemeldet. Insofern gab es viele helfende Hände. Die Hinfahrt nach Berlin erfolgte ab Freitagmittag, meist abgestimmt mit Autos, zum kleinen Teil individuell mit der Bahn. Ich wählte die Bahn, was zur Folge hatte, dass ich bei der Ankunft des Bootstrailers am Sattelplatz in der Nähe des S-Bahnhofs Jungfernheide nicht dabei sein konnte.

Die meisten EKRC-Sportler*innen hatten sich im günstig zum Hauptbahnhof gelegenen a&o Hostel in der Lehrter Straße eingemietet. Ebenso praktisch ist die direkte Busverbindung von der vor dem Eingang gelegenen Haltestelle zum Regattastartplatz. Nach dem Frühstück machten wir uns bald auf den Weg – am Abend zuvor war es zu dunkel, um die Boote noch aufzuriggern.

Jetzt ging es also los: Rund 1.000 Aktive aus Dänemark, Österreich, Polen, Tschechien, der Ukraine, der Schweiz, den Niederlanden und ganz Deutschland – insgesamt 170 Boote aller Alters- und Leistungsklassen. Dementsprechend quirlig ging es im Park am Schleusenkanal zu: allerorts wurden Boote getragen, lagen Bootsrümpfe, die zusammengeschraubt und eingestellt wurden. Überall wurde über Material und Renntaktik fachgesimpelt, begrüßten sich Menschen und waren erwartungsvolle, angespannte oder einfach nur frohe Gesichter zu beobachten. Dazwischen fuhren zahlreiche Kleinbusse hin und her, um noch mehr Menschen und Bootsmaterial anzuliefern oder hier nicht mehr benötigte Taschen und Wechselkleidung zum Ziel zu transportieren.

Der Masters-Männer-Achter hatte eine niedrige Startnummer und war bereits unterwegs. Noch hielt sich das Wetter. Es war zwar wolkenverhangen und die Wetter-Apps gaben kaum Grund zuversichtlich zu sein, aber der gelegentliche Nieselregen ließ sich noch ertragen – zumindest für unser Team. Etwas mühselig hingegen war der Transport der Boote vom Riggerplatz zum Einsetzsteg. Die eigentlich kurze Strecke von rund 100 m kann durchaus lang werden – vor allem wenn ein Gig-Boot zu tragen ist. Glücklicherweise bekamen wir Unterstützung aus dem Frauen-Achter in Form von Armen, Böcken und Unterhaltung. Die Nervosität vorm Start trug bei machen Booten offensichtlich dazu bei, dass die Geduld nicht ausreichte, um auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Daher musste hier und da noch ein wenig rangiert werden bis die Reihenfolge der Startnummern passte. Endlich erreichten wir den Steg und konnten V8 ins Wasser gleiten lassen, gerade als der Regen stärker wurde.

Das Rennen

In unserem Rennen sollten nur zwei Boote starten, unser Konkurrent – eine Renngemeinschaft aus drei Berliner Vereinen – direkt vor uns. Unsere Rennvorgabe: konstant durchrudern, zum Ende hin nicht nachlassen und gerne unter 28 Minuten bleiben. Aber was bedeutet das? Die Kräfte lieber vorsorglich aufsparen oder gleich alles reinlegen und auf eine Euphoriewelle hoffen, die einen bis ins Ziel trägt? 7 km sind weit und im Training haben wir bisher nur höchstens 400 Schläge, d. h. etwas mehr als die Hälfte der erforderlichen Anzahl, mit hoher Schlagzahl durchgerudert.

Ein paar Ruderschläge zum Aufwärmen und dann ging es los.

Im 30-Sekunden-Takt rudern wir im fliegenden Start über die Startlinie hinter der Eisenbahnbrücke. Kurz danach lassen Nieselregen und auch mein Grübeln nach. Von Anfang an erreichen wir einen guten Rhythmus. Und schon bald gibt es nur noch ein – für meine Ohren – recht gleichmäßiges Klack-Klack. Die 1.000-m- und 2.000-m-Markierungen an den Brücken sorgen für Zuversicht, sich das Rennen gut einteilen zu können. Leider lässt die 3.000er Marke lange auf sich warten, sehr lange. Stattdessen ist plötzlich ein weiteres Klack-Geräusch zu hören. Anfangs kaum hörbar, aber es kommt aus der Richtung meines Rückens, also von vorne. Irgendwo in der Mitte des Rennens müssen wir tatsächlich ein vorausfahrendes Boot erreicht haben. Das macht weitere Motivation und zusätzliche Kräfte frei! Bereits innerhalb der ersten der zu passierenden großen Spreeschleifen – wie sich später herausstellen wird, gibt es weder eine 3.000-er noch eine 4.000-er Marke – wird es ein Überholmanöver geben können. Das Klacken wird allmählich lauter. Als wir das Boot erreichen, wird es enger als gedacht. Im linken Augenwinkel taucht nicht nur das Berliner Boot auf, sondern daneben, auf der Innenbahn ein weiteres Boot. Es wird wirklich eng. Unsere Gegner erhöhen Schlag, Druck und Tempo. Wir halten dagegen. Einen kurzen Moment fahren wir zu dritt gleichauf. Das Boot auf der Innenbahn lässt als erstes nach – vielleicht reicht der Platz doch nicht für alle Boote? Zum Ende der Kurve können wir uns trotz Gegenwehr und Außenbahn zwar langsam vorbeischieben, aber nicht sofort davonziehen. (Bei der Nachbesprechung sind wir uns einig, das Herausfahren eines deutlichen Vorsprungs hätte gerne energischer erfolgen sollen.) So fahren wir noch einige 100 m im gleichen Abstand vorweg bevor wir uns vollends absetzen können und schließlich das Boot aus den Augen verlieren. Wir haben die Spree wieder für uns allein. Als wir wieder eine Marke erblicken, die 5.200er, kommt Gewissheit auf: das Tempo lässt sich durchhalten. Vielleicht können wir für den Zieleinlauf sogar noch etwas zulegen. Hinter der S-Bahnbrücke beim Schloss Bellevue kommt nur noch eine letzte Brücke. Als wir diese durchfahren, sehen wir Kai-Axel und Ute auf der Brücke stehen und winken – wie schön! Ihre Anfeuerungen sind deutlich zu hören. Sie beflügeln tatsächlich für den erhofften Endspurt. Die steinerne rote Böschung an Backbord bringt die Gewissheit: in wenigen Metern ist das Ziel erreicht.

Den Regattakommentator nehme ich kaum wahr. Erschöpfung, Erleichterung und jede Menge Glücksgefühl. Im Überschwang lasse ich mich hinreißen und behaupte: das hätte noch 500 m so weitergehen können! Bereits beim Betreten des Steges merke ich die weichen Beine und mir wird klar, das hätte es nicht. Im Ziel vorm Haus der Kulturen ist es überraschend voll. Trotz der herbstlichen Witterung stehen zahlreiche Zuschauer am Ufer: Sportler*innen, deren Freunde und Familien und sicher auch ein paar andere. Sobald wir unser Boot im Gras abgelegt haben, werden wir mit einer kühlen Erfrischung versorgt. Das tut gut.

Nachdem das Boot abgeriggert und verladen ist, können wir entspannt die Ankunft der nachfolgenden Boote verfolgen und bejubeln: zuerst kommt der Frauenvierer und schließlich der Frauenachter ins Ziel. Der anfängliche Nieselregen ist zu einem andauernden Regen angewachsen, was die vielerorts allgemein deutlich spürbare fröhliche Stimmung aber nicht schmälern kann. Während wir die zuletzt eingetroffenen Boote verladen, hat die Siegerehrung inzwischen begonnen. Bestückt mit Medaillen und einem Pokal geht es zurück ins Hostel. Wir freuen uns auf warme Duschen und allmählich auch schon wieder ein wenig auf das nächste Rennen – Hamburg, wir kommen!

Vielen Dank an Ingmar, Gunnar, Martin, Sven, Jörg, Frank, Alfred und unseren Steuermann Claus für mein erstes, sehr schönes Regattaerlebnis!

Stephan Petschallies

Für die Statistiker:

Teilgenommen haben für den EKRC …

MM 8+, Masters-Männer-Achter mit St., Altersklasse G – 1. Rang in 25:23 min
Klaus Carow, Claus Höppner, Arne Kassbaum, Bernd Klose, Matthias Borchardt, Dieter Leptien, Rolf Zumegen, Thomas Henning, St.: Jörk Schüßler

SF 8+ A, Frauen-Achter mit St. A HP – 4. Rang in 25:48 min
(im selben Rennen starteten die Nationalteams aus Deutschland und Österreich!)
Jule Tannert, Svenja Horn, Cathrin Klopp, Isabel Kremin, Charlotte Wolff, Anna Louisa Kollster, Mona Flathmann, Leslie Matthiesen, St.: Felix Eckel

MW 4x+, Masters-Frauen-Doppelvierer mit St. C-Gig VI. c), Altersklasse D – 3. Rang in 32:24 min
Anne Reimer, Irene Lehmann, Inga Christiansen, Claudia Witte, St.: Bärbel Stein

SON 8+ Gig, Sonderrennen-Gig-Achter mit Steuermann C-Gig HP – 1. Rang in 26:52 min
Sven Lorenzen, Gunnar Meyer, Frank Kleinfeld, Jörg Krenz, Martin Lincke, Stephan Petschallies, Alfred Eberhardt, Ingmar Schulz, St.: Claus Riecken

Das fünfte Boot musste leider kurzfristig zurückziehen.

Hinterlassen Sie einen Kommentar