Prolog
Einmal im Meer in den Wellen rudern, das ist der Wunsch eines jeden Flachländers. So denkt jeder Berliner, gewohnt an endlose Seenketten und Flussläufe. Gesagt getan, schnell war eine Fahrt an die Schlei organisiert und 15 Leute waren bereit auf das große Abenteuer mit dänischen Booten In Schleswig. So dachten wir zumindest. Nun kam Corona dazu und machte einen Strich durch diese schöne Reiseplanung. So gingen die Jahre ins Land und die Sehnsucht blieb!
Aber gab es da nicht die Erzählung unseres ersten Vorsitzenden Friedemann Berg von einer tollen Rudertour seines Heimatvereins Erster Kieler Ruderclub? Sind die nicht ganz cool über das Meer, den Kanal und einen Fluss in den Westensee gerudert und machten sie das nicht sogar jährlich? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, zumal ich selbst die ersten Jahre meines Lebens nicht in Berlin sondern in Kiel verbracht habe und selbst als Kanute auf dem Wasser groß geworden bin. Glücklicherweise gibt es das Internet und schnell war die Website des Kieler Clubs durchforscht und tatsächlich, ich wurde fündig: Da stand doch glatt ein Bericht von dieser sagenumwobenen Traditionstour. Aber der Schrecken stellte sich dann doch ein, als ich feststellte, dass es bereits die Tour des letzten Jahres war und im aktuellen Terminkalender keine Tour vermerkt war. Aber das kann ja einen Berliner nicht erschüttern. Also nehmen wir das Zepter selbst in die Hand, planen wir die Tour einfach und lassen uns von den erfahrenen Kielern beraten! So nahm ich also in froher Erwartung Kontakt mit Claus Heinrich auf. Welche große Freude erfüllte mein Herz als ich nicht nur kompetente Hilfe bei meiner Planung durch Claus erfuhr, sondern er mir mitteilte, dass er diese Tour Ende September schon geplant, aber noch nicht ausgeschrieben hat. Halleluja! Also setzte ich diese Tour in den Verteiler unseres Vereines und nach drei Tagen hatten wir zehn Leute zusammen. Es ist schon schön, wenn man in so einem großen Verein mit 400 Ruderbegeisterten so viele Interessenten zusammenkommen kann. So waren wir eine ganz gemischte Gruppe von dynamischen weiblichen Jungakademikerin Mitte 30 bis zu unserer erfahrensten Rudererin Siegrid mit 82.
Es geht los!
Auf drei PKWs verteilt reisten wir nun in das schöne Kiel und kamen im Ibis Hotel am Schwedenkai unter. Norddeutschland begrüßte uns mit einem lauen Abend und leckerem Essen am Alten Markt. So betteten wir uns voller Vorfreude auf den nächsten Morgen und fielen in einer ruhigen Schlaf.
In Ruderkleidung und mit Packsäcken versehen machten wir uns dann auf den kurzen und schönen Weg durch die Kieler Altstadt zur Kiellinie zum Ersten Kieler Ruderclub. Endlich wieder Salzwasser riechen, Wind spüren, große Schiffe sehen und die Kräne der Werft bewundern, das ließ mein Kieler Herz gleich höher schlagen. Schön war es auch,von einer fröhlich motivierten Kieler Truppe mit einem herzlichen „Moin“ begrüßt zu werden. Eine Sprachvariante, die ich doch im Klang der Berliner Schnauze vermisst habe.
Auch unsere Kieler Ruderkameraden waren eine bunte Truppe von Jung und Alt, Mann und Frau. Nun traf ich auch den Organisator der Fahrt, Claus Heinrich zum ersten Mal. Und es war schön für mich so einen erfahrenen alten Kieler kennenzulernen, der so mit dieser Stadt mit Herz und Verstand verbunden ist und war. Dankenswerterweise hat er uns Süßwassermatrosen auf alle fünf Boote verteilt, so dass wir von den Erfahrungen der Kieler profitieren konnten.
Eine Anekdote in der Vorbereitung dieser Fahrt möchte ich nicht unerwähnt lassen: Claus erinnerte in der Fahrtenbeschreibung an die Notwendigkeit von wasserfesten Schuhen. Das war für uns sehr unüblich und das Gehirn begann zu rattern. Wozu könnte man wasserfeste Schuhe auf einer Rudertour im Meer wohl gebrauchen? Natürlich: Die Wellen werden ins Boot schlagen und man wird nicht nur am ganzen Körper sondern auch an den Beinen nass? Hoch dramatisch erzählte ich also meinen Berliner Freunden, dass sie nicht nur eine wasserfeste Hose und Jacke für die stürmische See benötigten, sondern auch möglichst wasserfeste Schuhe. Decathlon war schnell durchforscht und wir fanden schließlich noch die letzten Neoprenschuhe der Stand up paddling Saison. Natürlich teilten wir in den sozialen Medien die Fotos unserer ungewöhnlichen Errungenschaften. Doch was für eine für mich peinliche Überraschung war es dann von Claus zu erfahren, dass diese Schuhe lediglich beim Aussteigen und Übertragen der Boote in die Eider für kurze Zeit benutzt werden sollten. Von wegen Sturm und vollaufende Boote! Aber der Panikmodus wurde durch diese Erkenntnis schnell runtergefahren, was sehr zur Entspannung von uns Berlinern beigetragen hat.
Nun also endlich los aufs Meer. Und der Kieler Hafen zeigte sich uns von seiner interessantesten Seite. Leichte Wellen, ein einlaufendes Kreuzfahrtschiff und herrlichster Sonnenschein. Welch eine Lust auf der Förde zu rudern und ja, die Wellen waren herausfordernd aber siehe da sie schlugen nicht ins Boot. An der Tirpizmole entdeckten nun einige Flachländer neben den Kriegsschiffen auch dieses berühmte millionenschwer restaurierte Segelschiff namens „Gorch Fock“. Na da muss doch noch ein Abstecher hin gemacht werden, waren die Gedanken einiger Freunde.
So trudelten wir nach gut einer Stunde langsam an der Holtenauer Schleuse ein. „Wir haben auch schon mal drei Stunden auf eine Schleusung warten müssen“. Diese Worte der Kieler klangen noch in unseren Ohren, als wir nun vor den riesigen Toren der Holtenauer Schleuse lagen. Aber wie groß war die Freude, als sich die Tore bald öffneten, zwei gewaltige Schiffe einfuhren, mehrere kleine Segelboote folgten und wir den restlichen riesigen Platz mit unseren Booten füllen konnten. Das waren wirklich keine mecklenburgischen Schleusen, in denen wir oft nur mit „Ruder lang“ einfahren mussten und dabei auch schon mal gekentert sind. Solche Dimension von Schleusen kennt man nur aus Filmen, dachten sicherlich der ein oder andere Berliner. Mit diesen Frachter Dimensionen zusammen in einer Schleuse zu liegen, war schon sehr beeindruckend. Werden wir das Schraubenwasser beim Ablegen der Boote gut überstehen? Wir hatten mal wieder keine Ahnung was uns erwartet.
Sehr entspannt kamen wir natürlich aus der Schleuse und konnten nun den längsten Teil dieser Reise, die 10 km auf dem Nord-Ostsee-Kanal bewältigen. Bei leichtem Gegenwind waren wir gut gefordert und es machte Spaß mit den gut trainierten Kielern die fünf Boote über das Wasser zu treiben. Da die großen Schiffe im Kanal nur eine geringe Geschwindigkeit fahren durften hatten wir sie oft über längere Zeit an unserer Seite. Das war für uns Berliner wirklich spannend, zumal das ein oder andere Frachtschiff uns auch entgegen kam. Die angekündigten dramatischen Wellen mit großer Sogwirkung blieben aber aus. Da hatten uns die Kieler wahrscheinlich zu viel versprochen.
Nun aber hieß es die mitgebrachten wasserfesten Schuhe endlich zu benutzen, denn wir erreichten den Ursprung der Eider am Nord-Ostsee-Kanal. Von hier aus fließt das kleine Flüsschen durch ganz Schleswig-Holstein und mündet an einem gewaltigen Sperrwerk in die Nordsee. Schon die Wikinger nutzen von Haithabu bei Schleswig diesen Weg, um über die Nordsee ihre Raubzüge zu starten. Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei und wir konnten mit friedlicher Absicht unsere fünf Boote durch ein kleines Waldstück in Ermangelung einer funktionierenden Schleuse in die Eider transportieren. Die nächsten Kilometer erinnerten uns nun sehr an heimische Gewässer in Mecklenburg oder Brandenburg, zog die Eider sich doch durch dichtes Gestrüpp entlang ausgedehnter Wiesen, mit einem wunderbaren Schilfgürtel versehen bis zum Westensee. Für unsere Kieler Freunde war das ein Stück „Dschungel“, wie sie es nannten. Mit ähnlicher Begeisterung nennt man bei Abwesenheit wirklicher Berge ja auch das Gebiet um Plön und Eutin „Holsteinische Schweiz!“
Aber da lag er nun vor uns, die Perle Schleswig-Holsteins, ein See so groß wie der Tegeler See, komplett in privater Hand, ein Überbleibsel feudaler Herrschaft mitten im 21. Jahrhundert: Der Westensee. Wer einmal an diesem See ein Grundstück erworben hat, gibt es von Generation zur Generation weiter. Welch ein Segen,dass Claus zu diesen Auserwählten gehört. An einem kleinen Badestrand konnten wir die Boote ablegen und mit großer Erwartung einen kleinen Spaziergang zu der Residenz Heinrich machen.
Innerhalb einer kleinen Siedlung lag es nun, das kleine Häuschen mit wunderbaren Garten und weitem Blick auf den See. Sehr herzlich wurden wir von Claus Frau begrüßt und man spürte, dass sie als erfahrene Geschäftsfrau mit Würde und Esprit ihre Gäste zu bewirten wusste. Mit großer Herzlichkeit wurden wir empfangen und nach kurzer Zeit fand jeder ein Plätzchen auf der Terrasse. Bei leckeren Salaten und köstlichen Fleisch aus dem rudereigenen Restaurant wurden wir nun verwöhnt. Zu den aktiven Rudernden sind nur noch einige Kieler zu diesem Gartenfest angereist, so dass wir uns schnell angeregt unterhalten konnten. Während unsere drei Jüngsten Jessica, Melanie und Katharina von den neuesten Hauptstadtentwicklungen im Ministerium oder in der Wirtschaft zu plaudern wussten, wurde das ein oder andere Rudererlebnis aus den letzten Jahrzehnten mit Leidenschaft und Humor geteilt. Da konnte der noch 79-jähriger Holger von seiner Zeit in Australien berichten, wohin er als Berliner Junge aus der zerbombten Stadt nach dem Krieg auswanderte und es immerhin bis zum Olympiakader Australiens schaffte.
„Deine Stimme kenne ich irgendwoher“. Dieser Satz war unserem Sebastian Walch doch sehr geläufig, arbeitet er doch seit Jahren als Sprecher in Hörbüchern, Kindersendungen, Synchronisationen oder sogar als Vorleser der Bibel.(vielen Dank übrigens für diese persönliche Gute-Nacht-Geschichte, lieber Sebastian) So brachte jeder im Laufe des Abends aus der Vielfalt seiner Erfahrung und Begabungen einen Beitrag zum Gelingen des Abends. Ich persönlich engagiere mich neben dem Rudersport in meiner Freizeit noch in einer christlichen Pfadfinderschaft und begleite seit Jahren Kinder auf ihrem Weg in das Leben. Welch große Freude war es für mich Klaus Nummer 2 kennenzulernen, der sich seit Jahren in Kiel auch christlich engagiert und sich seelsorgerisch um die Nöte der Menschen kümmert, die nicht durch Rudern in Gemeinschaft bewältigt werden können (da gibt es doch tatsächlich noch welche).
Schon lange war die Sonne über dem Westensee untergegangen, als Klaus uns dann in dem eigens für uns angemieteten Bus zum Hotel in die Landeshauptstadt zurückbrachte. „Was für ein Tag, was für eine Landschaft, welch tolle Menschen durften wir heute erleben“, das war die einhellige Meinung der Berliner Crew. Und morgen dasselbe noch mal retour, Preis dem Herrn! So beendeten wir unsere Tour am folgenden Sonntag bei herrlichem Sonnenschein und werden euch, liebe Kieler noch lange dankbar in unserem Herzen bewahren. Vielen Dank dafür!
Rüdiger Schmidt, Ruder-Club Tegel