Heimatkunde
»Die Lahn – wo verläuft die eigentlich?« Diese Frage hören wir verschiedene Male, als wir einige Tage vor der Fahrt abends vor dem Club am runden Tisch zusammensitzen. Also Heimatkunde – Atlas raus, Seite »Deutschland« aufschlagen: Die Lahn verläuft grob von Ost nach West etwa eine Autostunde nördlich von Frankfurt. Sie mündet bei Koblenz in den Rhein. Ein paar Kilometer weiter nördlich und aus dem »Deutschen Eck« wäre ein »Deutsches Dreizack« geworden.
Wir fahren die Lahn beginnend in Wetzlar bis zu ihrer Mündung in den Rhein in Lahnstein.
»Für die Fahrt durch den Weilburger Kanaltunnel sind Schwimmwesten erforderlich…« Dieser Satz aus der Vorbereitung lässt den Blutdruck einiger Teilnehmer bereits im Vorfeld steigen.
Schleusendiplom
»Bist Du schon mal Schleuse gefahren?« fragt Martina Martin. »Ja, bei uns auf dem Nord-Ostsee-Kanal.« Das hier ist gänzlich anders. Natürlich sind die Schleusen kleiner, zu Beginn der Reise handbetrieben und erheblich zahlreicher. Wir passieren schon mal bis zu sechs Schleusen pro Tag – für den einen eine willkommene Verschnaufpause, für andere ein ärgerliches Hindernis auf dem Weg zum Ziel.
Auf jeden Fall geben die Schleusen genügend Möglichkeit zur körperlichen Betätigung: Ein Boot vor der Schleuse anlegen, zwei Leute aussteigen in der richtigen Reihenfolge und Tore und Schütze öffnen, schließen wieder öffnen und schließen. Manch einer macht hier sein Schleusendiplom, andere lernen, ihre Ungeduld zu zügeln: »Warum geht dieses Sch… Tor nicht auf! Sind doch nur noch 5cm Pegelunterschied, das kann doch nicht so schwer sein!« Doch, ist es!
Während die Schleusendiplomanwärter sich oben abmühen, werden unten in der Kammer zur Versüßung der Wartezeit gerne bärchenförmiges »Schleusengummi« gereicht. Die Schleuser gehen meistens leer aus.
Ab Limburg sind dann Profis am Werk: die Schleusen sind besetzt und automatisiert. Dadurch halbiert sich gefühlt die Durchfahrtzeit durch eine Schleuse, auch rauschen wir in atemraubender Geschwindigkeit schon mal 4m hinab – nix für klaustrophobisch veranlagte Schleusenkammerinsassen. Doch professionelle Schleusenwärter haben geregelte Arbeitszeiten und so müssen wir ab jetzt auf die Betriebszeiten Rücksicht nehmen: »Wir brauchen erst um 9:45 abzulegen – die Schleuse öffnet um 10:00.«
Rudern auf dem Fluss
Das Rudern auf dem Fluss bietet im Vergleich zu unserem Revier ganz neue Herausforderungen. Stromschnellen sorgen für Adrenalinschub bei den Steuerleuten, Flachstellen und Sandbänke zwingen zum Verlassen des Bootes. Kühe, die im Wasser ihre Euter kühlen, Reiher beobachten den Fluss.
Nervosität bei der Ausfahrt aus der Schleuse Runkel. Die Routenbeschreibung warnt: »Bei Ausfahrt aus der Schleuse starke Strömung von links. Unbedingt links halten«. Beim Öffnen der Tore fällt zusätzlich ein gestrandeter Baum in der Strommitte ins Auge. Also beherzt Fahrt aufnehmen und durch. Wir schaffen es relativ problemlos, andere Boote mit mehr Aufregung und kleinen Grüßen an den Bootsbauer nach Kontakt mit der Steinböschung.
Rudern am Abgrund
Etappenende beim »Limburger Club für Wassersport«. Der Steg liegt 20m vor einem Wehr. Freiruderprüfung, Frage 10, Anlegen bei Strömung: »Vorbeifahrt am Steg, halten, wenden, gegen den Strom an den Steg rudern«. Dieses Vorhaben wird jäh vereitelt durch Meuterei der Mannschaft, die nach Passieren der ersten »Österreich-Tafel«, das Rauschen des Wehrs im Nacken, eigenmächtig das Rudern einstellt »Da können wir doch nicht weiter!« Doch, können wir. Schließlich liegen noch vor mir die Kinder in ungesteuerten Booten und warten auf den Steg. Und was die können…
Wieder einsetzen werden wir die Boote zur Weiterfahrt beim Kanu Club Limburg, unmittelbar vor der Einfahrt in den Wildwasserkanal, an dem die Kanuten vorbei am rasant drehenden Mühlenrad der Obermühle ihr Wildwassertraining absolvieren.
Überhaupt sind die Ruderer auf der Lahn nicht zu beneiden, ist ihr Revier doch durch die zahlreichen Schleusen und Wehre stark eingeschränkt. In Lahnstein z.B. kommen uns die trainierenden Ruderer auf gerade einmal 1000m Strecke mehrere Male entgegen.
Warum hat der Kleinbildfilm 36 Aufnahmen?
Das Rahmenprogramm umfasst natürlich gemeinsames Abendessen von bodenständig bis exotisch, Pausentag mit Stadtbummel in Limburg und den Besuch des Ernst Leitz Museums in Wetzlar. Hier wird die Marke in einer Weise zelebriert, wie es einem sonst nur bei dem weltbekannten, angebissenen Kernobst geläufig ist. Neben dem Museum gibt es einen Leitz-Store, eine Akademie und Werkstätten.
Wir erfahren, wie Ernst Leitz in Zeiten der Plattenkameras mit einer mutigen unternehmerischen Entscheidung den Grundstein der Kleinbildfotografie legte – basierend auf dem 35mm-Kinofilm, dass Brian Adams nicht nur ein bekannter Musiker, sondern auch begnadeter Fotograf ist und warum der Kleinbildfilm 36 Aufnahmen enthält: Nach der Legende war dies genau Armlänge des Leica-Erfinders Oskar Barnack.
Was sonst?
- Die Erinnerung an eine Gegend mit vielen verträumten Plätzen und Orten, herbstlich angehauchtes Grün, gerade einmal eine Autostunde von Frankfurt entfernt, während über unseren Köpfen die startenden Flugzeuge von der nahen Metropole zeugen.
- Stimmung und Form werden getrübt durch vereinzelte Erkältungssymptome, Volker legt sich zunächst ins Bett und dann in den Zug zurück nach Hause. Erst nach der Heimkehr kursieren dann im Gruppenchat einzelne Bilder von Plastikröhrchen mit wahlweise einem oder zwei Teststreifen.
- Die Etappenlängen waren sportlich angesetzt, hier hatte Claus die Strömung überschätzt. Insgesamt sind wir ca. 125 Km gerudert, unterbrochen von ca. 20 Schleusen
- Bekannte Mineralwässer kommen aus der Gegend, hoffentlich nicht abgefüllt aus der Lahn
- Pausen sind wichtig, betreute Pausen noch besser. Hier hat der Landdienst ganze Arbeit geleistet und sich durch kreatives Catering verdient gemacht
Eine eindrucksvolle Fahrt liegt hinter uns, Dank an Claus und Volker für die wie immer akribische Vorbereitung. Die Planungen für das nächste Jahr haben bereits begonnen.
Hans-Martin Hörcher
Ach ja, und der Tunnel?
»Ich mache morgen Landdienst, durch den Tunnel muss ich nicht noch einmal!« kündigt Martina an und berichtet von chaotischen Verhältnissen mit drängelnden, unerfahrenen Kanuten, fast erinnern die Schilderungen an die Vogalonga. Noch einmal gesteigerte Nervosität.
Am nächste Morgen erweist sich der Tunnel dann als dunkel, lang, aber weitgehend harmlos. Die Steuerleute müssen paddeln, entsprechend gemütlich geht es voran. Außer, dass Volker beinahe sein Paddel im Dunkel des Tunnels verliert, verläuft die Durchfahrt ereignislos.