Tag 4
31.10.2019
This is Hong Kong!
In unserem zweiten Training werden wir wieder zum Spielball der Wellen. Wir haben noch einmal die Chance Wasser und Boot zu testen, bevor es übermorgen in den Vorlauf geht. Nachdem wir uns gestern zunächst mit den Bedingungen vertraut gemacht haben, geht es heute darum, Startphase und Manöver zu üben.
Der Tag beginnt wie der gestrige. Die Trainingsstunde die uns auch heute zur Verfügung steht, liegt wieder am späteren Vormittag. Den Weg dahin kennen wir mittlerweile auch auswendig. Lediglich die Richtung aus der die Autos an den verschiedenen Straßenkreuzungen kommen, macht uns noch ein bisschen zu schaffen. Es ist ein Wunder, dass wir noch nicht angefahren wurden. Jeden Morgen vergessen wir aufs Neue, dass der Verkehr sich hier auf der „falschen“ Straßenseite bewegt. Nach rechts gucken! Nicht nach links, auch wenn man dann das komische Gefühl hat, dass doch gleich ein Auto von links kommt und uns von der Straße fegt. Das steht eigentlich auch immer in weißer Schrift auf der Straße. „Look Right“. Nicht so schwer, oder? Doch bei all den Reizen die auf uns einströmen, werden die zusätzlichen Straßenmarkierungen gerne mal übersehen. Und wenn man doch dran denkt, dann heißt es auf einmal „Look Left“, weil wir auf eine Einbahnstraße treffen (die kann hier auch gerne mal fünf oder mehr Spuren haben). Es ist verwirrend.
Manchmal ist auch möglich ganze Blocks frei von Ampeln und potenziell tödlichen Straßenkreuzungen hinter sich zu bringen. In gewissen Teilen der Stadt überspannt ein Netzwerk aus hochgelegten Fußwegen die Stadt. Hier kann man größere Distanzen einfach zurücklegen – vorausgesetzt man findet eine Treppe die nach oben führt. Auch das lässt einen hier und da mit einem gewissen Maß an Ratlosigkeit an der Kreuzung stehen. Dort oben ist der Fußweg. Doch wie kommt man da rauf? Hin und wieder hat man Glück und sieht ein Treppenhaus oder findet einen Weg über eines der unzähligen Einkaufszentren. Doch manchmal hat man auch einfach seine Chance verpasst und ist verdammt dazu sich auf dem niederen Straßenlevel auf schmalen Bürgersteigen von einer Ampel zur nächsten zu retten.
Eine dieser langen Überführungen führt vom Drehkreuz Hongkongs („Central“) bis zu den Fähranlegern. Ohne auch nur die Straße betreten zu müssen stehen wir an den Piers. Von hier aus fahren langsame Fähren wie Schnellfähren auf die andere Seite des Hafens in den Stadtteil Kowloon oder auf eine der vielen Inseln die zu Hongkong gehören. Kowloon ist einst eine eigene Stadt gewesen. Mittlerweile ist sie schon längst in den Großraum Hongkongs aufgenommen worden der sich noch weit darüber hinaus bis in die „New Territories“ bis fast nach Shenzen ausdehnt. Eine in die Jahre gekommene Fähre schippert gemächlich in ein paar Minuten in diesen Stadtteil. Sie passiert dabei Sportboote, patroullierende Polizeiboote und große Pontons die von Schleppern durch die Gegend gezogen werden. Jedes Schiff trägt einen kleinen Beitrag zu dem Wellenchaos bei das wir in unseren dazu vergleichbar kleinen Ruderbooten bezwingen müssen. Mit einem kleinen Rumms dockt das Schiff auf der anderen Seite an einem ebenso in die Jahre gekommenen Pier an. Wir landen inmitten einer Einkaufsmeile die von hochpreisigen Markenläden auf beiden Seiten gesäumt ist. Hier stehen weiß behandschuhte Portiers an den großen Doppelglastüren der Läden in denen exklusive Handtaschen, kitschige goldene Armreifen, luxuriöse Mäntel, teuerste Uhren und viele andere Luxusartikel erworben werden können. Das Geschäft floriert sichtbar. Die Straßen und Läden sind gut gefüllt. Da Hongkong keinerlei Mehrwertsteuer erhebt, ist diese Stadt ein Hotspot für shoppingwütige Reisende die sich hier mit edelsten aller Marken für relativ „wenig“ Geld eindecken können.
Wir haben indes keine Probleme uns diesem Angebot zu entziehen und passieren die Läden ohne einen einzigen Dollar ärmer zu sein. Unser Ziel ist das International Commerce Centre, das höchste Gebäude in Hongkong. Mit seinen 484 m schafft es dieses Monstrum aus Glas und Stahl auf den 7. Platz der Weltrangliste der höchsten Gebäude (danke Wikipedia!). Im Stockwerk Nummer 100 (wobei unklar ist, welches Stockwerk das wirklich ist. Da die Nummer 4 im chinesischen Raum als Unglückszahl gilt, werden sämtliche Stockwerke mit einer 4 übersprungen. Zusätzlich zu den anderen Unglückszahlen die der Aberglaube im Angebot hat.) gibt es ein Aussichtsdeck von dem wir aus einen beeindruckenden Ausblick auf die Regattastrecke haben – und natürlich den gesamten Rest von Hongkongs Skyline, den umliegenden Bergen, den riesigen Wohngebiet von Kowloon, den Hafen, die entfernteren Wohnsiedlungen mit ihren riesigen schmalen Wohnblöcken und einigen Inseln im Hintergrund. Auch heute war es wieder sehr diesig. Die Sichtweite betrug etwa 13 km. Das mag viel klingen. Im Vergleich zu der Größe Hongkongs und der Höhe (393 m) in der wir uns gerade befanden, hatten wir allerdings eine etwas limitierte Sicht.
Gut zu sehen war jedoch Victoria Harbour mit den vielen kleinen Booten und Fähren. Ein Gewusel von hier oben. Oder die Werbeanzeigen auf den Dächern der Hochhäusern. Dort sind überdimensionale Bildschirme montiert die mit voller Kraft ihre Werbebotschaft zumeist in nicht verständlichen chinesischen Schriftzeichen in die Stadt hianus feuern die dort in dem Chaos aus Farben, Mustern, Zeichen und Rauschen genauso untergeht wie jede andere Werbetafel auch. Die Sonne verschwindet gerade hinter dem Horizont. Davon bekommen wir nicht viel mit, weil die allgegenwärtigen Wolkenschichten und der Dunst aus Smog und Luftfeuchtigkeit das Sonnenlicht schon vor einiger Zeit geschluckt haben. Doch innerhalb weniger Minuten wird es dunkel in der Stadt. Zumindest am Himmel. Das natürliche Sonnenlicht wird in einem fließenden Übergang von den Lichtern der Stadt ersetzt. Jetzt blicken wir in jeder Richtung auf ein Lichtermeer. Die beleuchteten Wohnungen und Büros funkeln in der lichtverschmutzten Luft und lassen einen staundend zurück.
Wir lassen den Tag in Wan Chai ausklingen. Dieser Teil auf Hongkong Island liegt nur wenige U-Bahn Stationen von Central entfernt. Hier gibt es eine hohe Dichte an qualitativ hochwertige(re)n Restaurants. Von lokal (also chinesisch oder kantonesisch) über thailändisch und indisch bis zu italienisch und spanisch finden sich viele Essensmöglichkeiten in hübsch ausgestatteten Lokalitäten. Doch alle davon (nicht nur hier, sondern in jedem Teil der Stadt) teilen sich zusammen mit jedem anderen Gebäude, (sei es Hotel, U-Bahn, Einkaufszentrum, oder…) die unerklärliche Vorliebe für absolut überregulierte Klimaanlagen.
Heute hatten wir draußen angenehme 26 Grad Celsius. Das ist auf Dauer auch ein bisschen warm geworden. Um das zu kompensieren, wird jeder einzelne Innenraum in dieser Stadt auf ein Sub 18 Grad Niveau herunter gekühlt. Wozu das gut sein soll ist fraglich. Wenn man essen gehen will, braucht man hier einen Pullover, wenn man sich nach drinnen setzen möchte. Mit der Zeit wird es durch die mangelnde Bewegung auch immer kälter. Wenn wir im Anschluss wieder auf die Straße treten, erwarten wir aufgrund der norddeutschen Erfahrung noch kältere Luft draußen. Doch stattdessen wird es wieder angenehm war… Es ist paradox. Hier geht man nach draußen, wenn einem kalt wird.