Heringsachter 2014

6. Dezember 2014 | Von | Kategorie: Regatta

 – oder das hätte nicht passieren dürfen!

„Das hätte nicht passieren dürfen!“ So kommentierte die frischgebackene (wahre) Fari-Cup Gewinnerin 2014 Dorit von Weydenberg die Verkündigung des Siegers des Heringsachter Pokal am vorletzten Novemberwochenende in Berlin Tegel.
Eigentlich hatten zunächst unsere Elite-Master Ruderer um Bernd und Rolf, anlässlich eines Trainingslagers zum Saisonauftakt in Ratzeburg, die Einladung vom Vorsitzenden des RC Tegel Holger Niepmann dankend angenommen, ließen sich dann jedoch entschuldigen. Die Saison war wohl zu anstrengend, als das man noch spät im November zu dem hochkarätig und renommierten Rennen um den Heringspokal antreten konnte. Holger Niepmann ließ es sich deshalb nicht entgehen, uns einen Gruß mit Stirnrunzeln den daheimgebliebenen Kielern mitzugeben.
Uns, das waren Stefan von Weydenberg, Jörk Schüssler, Gaby und Grommeck Schulz. Dorit, leicht verschnupft, zog es vor, nur den gemütlichen Teil der Veranstaltung mitzunehmen, während Grommecks Partner Luschi Lorenzen mit einer schweren Erkältung zuhause im Bett bleiben musste. Was sollte Grommeck nur ohne Luschi anfangen? Gerade bei einem so wichtigen Saisonhöhepunkt? Das war eine Frage, die alle bewegte.
Das Rennen um den Heringsachterpokal gilt in Ruderkreisen als das anspruchsvollste Ruderrennen der nördlichen Hemisphäre, gilt es dort im Achter über die Mitteldistanz von 4.500 m nicht nur die normalen ruderischen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer und Technik zu beherrschen sondern auch in wichtigen Softskills wie Integration, Teambildung und Motivation zu performen: Die Mannschaften werden ausgelost!
So kam es das alle 4 Kieler Teilnehmer in unterschiedlichen Booten saßen. Eigentlich wollte Grommeck – ohne Luschi – irgendwie im Mittelschiff untertauchen, aber als er zur Mannschaft von einer resoluten AH Ruderin gerufen wurde, begann das Unglück. „Biste backbord?“ „Ja!“ „Kannste Schlag fahrn?“ „Ja!“ Und schon saß Grommeck auf dem Schlagplatz in einer gelosten Achtermannschaft bestehend aus einem durchtrainierten Berliner Kaderruderer, dem sofort der Konterschlagplatz zugewiesen wurde und mehreren weniger oder mehr duchtrainierten Ruderer und Ruderinnen jeden Alters.
Das Einfahren etwas wackelig, aber durch die hervorragenden oben erwähnten Softskills brachte der Schlagmann die 8 Athleten schnell zusammen, denn es gab gerade mal 20 Minuten Zeit sich ein-und warmzufahren. Die kesse Steuerfrau Nancy aus Berlin Köpenick trug ihren Teil zur Mannschaftintegration bei und die männlichen Mannschaftmitglieder ließen es sich nicht zweimal sagen, dass sie sich doch ausziehen sollten – zum Rennen in Rennkleidung natürlich.
Dann der Start. Wichtig: Nicht gleich losprügeln, sondern von Anfang an mehr auf den Rhythmus und die Umkehrpunkte achten. Schnelles Hände-weg weit bis vor die Knie, die dabei nicht hochkommen dürfen. Gefolgt von einer kurzen, vielleicht 1/8 Takt kurzen Pause, kaum sichtbar von außen, aber doch spürbar für die Mannschaft. Dann das Anrollen: Jede Mannschaft tendiert da zum „Nachvornestürzen“ und als Schlagmann muss man ganz bewusst gegenhalten, bremsen. Die Mannschaft muss das Boot unter dem Hintern Richtung Bug ziehen. Sie wiegt 5-6 x mehr als der Achter, also zieht sie das Boot während des Vorrollens mit Hilfe der Physik (dank der Erfindung des Massenerhaltungssatz) 5-6 x die Länge der Rollbahn nach vorn.
Diese Freilaufphase ist keine Zeit zum Ausruhen, sondern wichtiger Teil des Vortriebs, vielleicht der wichtigste, dient diese doch auch der Vorbereitung auf das Wasserfassen. Dieses muss zum richtigen Zeitpunkt kommen, wenn man ganz in der Auslage angekommen ist, aus der Spannung des Körpers heraus bevor man wieder zurückfedert. Einfach „einhaken“ indem man das rechtzeitig gedrehte Blatt ins Wasser fallen lässt. Vom Gefühl her eigentlich schon bevor man ganz in der Auslage angekommen ist. Ein bewusstes und konzentriertes Vorrollen hilft den richtigen Zeitpunkt zu finden, vergleichbar mit einem Skispringer, der langsam dem Absprungpunkt zufährt und dann schschscheiit““ abspringt!
Bewegt man den Körper in Richtung Bug, ohne dass man sich „eingehakt“ hat, bekommt das Boot einen Impuls in Richtung Heck, denn der Massenerhaltungssatz gilt auch hier. Nur 5 mm machen sich mit 3 cm verlorenen Vortrieb bemerkbar. Bei ca. 450 Schlägen, die im Rennen um den Heringsachter gefahren werden, ergibt sich daraus jedoch schon eine ¾ Achterlänge. Bei einer Schlagzahl von 30 und einer typischen Aufteilung in 2/3 Vorrollen und 1/3 Durchzug entsprechen diese 5 mm nur 1/100 des Rollweges oder genau 0,014 Sekunden – also ein Bruchteil einer Sekunde, die für den Vortrieb von entscheidender Bedeutung sind.
Nach dem Wasserfassen, aus der Körpervorspannung heraus folgt der Durchzug – ähnlich eines Hochstrecksprunges aus der tiefen Hocke und schon ist man wieder beim wichtigsten Teil des Ruderns angekommen, dem Händeweg und nachfolgendem Vorrollen.
So schwebt das Boot dann auch um die Wendemarke, eine kleine Insel im Tegeler See. Nancy steuert das Boot auf der 2 m Tiefenlinie des glasklaren Wassern entlang. Weiter weg wird der Weg zu lang, und zu dicht dran saugt sich das Boot fest. Nancy ist Profi – und so etwas beflügelt.
Aus dem Windschatten der Insel herausgerudert, merkt Grommeck, dass noch mehr geht, nachdem man auf dem Hinweg mehr auf Technik geachtet hat. „Leg noch ein paar Kohlen drauf!“ wird vom Konterschlagmann mit einem Berliner „Wat soll ick?“ erwidert. „2 Schläge höher!“ wird dann verstanden und prompt ausgeführt und die letzten Meter vor dem Ziel noch einmal gesteigert. Noch 10, dann Ausrudern – schwerer Atem, das Boot treibt, die Mannschaft paddelt sich still aus. Alle sind zufrieden. War schon nicht schlecht, aber hat es gereicht?
Nach dem Rennen dann das Rahmenprogramm, Schlag auf Schlag passend zu dem, was vorher auf dem Wasser passierte. Kaum das Boot fertig gemacht und ein schnelles Bier vor und nach der Dusche, wird schon das Heringsbuffet aufgefahren. Dass die Leute von der Waterkant das gut finden, ist das größte Lob für den Wirt Stippi des RC Tegel. Der letzte Bissen steckt noch im Hals, als die Musik anfängt und die Ersten sich auf der Tanzfläche austoben. Ob die im Rennen Alles gegeben haben?
Nach einiger Zeit fragen sich die Kieler, warum noch so viele Kinder anwesend sind? Ein Blick auf die Uhr gewahrt, dass es gerade mal ¾ Neune ist, wie Berliner zu sagen pflegen. Die Nacht wird noch lang und hart – aber man ist ja nicht jeden Tag in Berlin.
Und das Rennen: Gaby wird Letzte, auch ein Novum und der Achter mit den drei Weltklasseruderern Holger Niepmann. Thorsten Jütterbock und Stefan von Weydenberg Vorletzter. Um mit Weydes Worten zu sprechen: „Wer glaubt, dass Weltklasseruderer auch Weltklasse rudern, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten!“
Als der Zweitplatzierte verkündet wird ist klar, die Mannschaft mit Grommeck hat gewonnen! Dorit und Gaby im Chor: „ Nein – nur das nicht! Jetzt hören wir wieder 10 Jahre lang von Grommeck, wie toll er war und was das doch für ein Jahrhundertrennen war!“
Wie wohl!
Harald (Grommeck) Schulz

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die siegreiche Mannschaft

5 Kommentare zu “Heringsachter 2014”

  1. Brigitte sagt:

    Köstlich! –
    Und herzlichen Glückwunsch

  2. Rolf Zumegen sagt:

    Lieber Harald,

    was hast Du eingeworfen, bevor Du den Bericht geschrieben hast? Was es auch war,………..ich will es auch!!

    Dem ausdauernden Leser wird ja auf diese Weise deutlich, dass auch regionale Veranstaltungen in Form von Einladungsregatten mit zusammengelosten Teilnehmern zu einem Groß-Event mutieren können, sofern man die richtigen Worte dafür findet. Gegen dieses „anspruchsvollste Ruderrennen der nördlichen Hemisphäre“ verblasst der EON-Hanse-Cup ja förmlich. Da fragt man sich: Wo war eigentlich der Deutschland Achter? Die Herren suchen doch normalerweise derartige anspruchsvolle Herausforderungen. Ach ja, die waren ja gar nicht nach Berlin eingeladen.

    Dein Fachaufsatz zur Rudertechnik ist brillant, lässt er doch hoffen, dass in Zukunft durch das Umsetzen der von Dir gemachten rudertechnischen Ansätze alle Boote in Kiel mit Rhythmus und eleganter Körperhaltung über die Förde schnellen.

    Gerne hätte ich auch in Berlin Holgers Einladung wahrgenommen, allein schon, um Deinen persönlichen Saisonhöhepunkt live mit erleben zu dürfen, allerdings standen dem meine familiären Verpflichtungen in Kleinzerlang (Kenner wissen wo das ist) entgegen.

    Alles in Allem, ein launiger Bericht mit den Schulz-typischen Formulierungen, die wir alle so lieben.

    Ein schmunzelnder Gruß aus Wellsee

    Rolf

  3. Holger Niepmann sagt:

    Lieber Grommeck,
    du beschreibst die Veranstaltung in jeder Weise objektiv und ausgewogen. Der Heringsachter hat im Ruder-Club Tegel Tradition. Es können dort nur die Besten gewinnen! Nun gehörst auch du zu diesem erlauchten Kreis. Ob es nun Losglück war oder die brilliante Technik und Kondition deiner Mitruderer und Mitruderinnen, die dich nun haben Weltklasse rudern lassen oder deine eigenen überragenden Fähigkeiten als Schlagmann, die dem Boot Vortrieb gegeben haben, ist eigenlich egal. Für mich ist es aber nochmals Anlass dir ausdrücklich zu gratulieren. Du rückst damit nun endlich auch in den Kreis der Weltklasseruderer auf. Und der Ruder-Club Tegel würde sich freuen, wenn du auch noch in 10 Jahren von diesem Rennen schwärmst.
    Vielleicht finden sich im nächsten Jahr noch weitere Kieler, die an diesem Weltklasserennen teilnehmen, um in die Fußstapfen von Grommeck zu treten.
    Danke für den netten Artikel.
    Holger Niepmann
    Vorsitzender
    Ruder-Club Tegel

  4. Chimpy sagt:

    Schön. Harald. Ich freue mich über die endgültige Anerkennung dieser Regatta meines Berliner Vereines, dem RC Tegel. Ich weiß nicht wieviel Siege du bei mir nachtragen darfst, kann es aber anhand von T-Shirts und handbeschrifteten Muscheln herausfinden. Ich habe mich früher nicht getraut, die als Sieg zu vermelden, auch wenn es sich so anfühlt. Die Regatta ist schön und ich hoffe auf eine höhere Beteiligung von Seite ides EKRC m nächsten Jahr. Dadurch werde ich dir in der Statistik DEUTLICH näher kommen.. Obwohl, will ich das, jedes Rennen als Sieg??
    Nö,,,, Ulf & Rolf, wie sieht es aus mit nem Eichkranz oder einer Prüfungsregatta? Das sind Herausforderungen. Da sah man den geschmeidigen Schlag von Grommeck auf Goldkurs auf einer richtigen Regatta. Und der ist bis heute gleich geblieben.

  5. Grommeck sagt:

    Chimpy,

    zum frühen Beginn des Jahres 2015 warst Du ja leider nicht mehr in der Lage, ob des koscher Salz oder dem mit Eierlikör gefülltem Berliner sei dahingestellt, meine Auslassungen zu diesem Thema aufzunehmen, geschweige denn zu verstehen. Das orange „T-Shirt“ *) zeugt zwar eindrucksvoll von zumindest einem Sieg im Jahre 2003 im Heringsachter, aber der Steuermannsieg bei diesem Höhepunkt der Ruderszene gilt natürlich nicht so viel, wie der eines Ruderers: Die Steuerleute werden zugeteilt und nicht ausgelost! Ich habe trotzdem das mir bei Euch zugeteilte Gäste-Siegerhandtuch-EKRC 2003 nicht gleich eingezogen…

    Grommeck

    *) In den Änfängen, als die Veranstalung nur eine Clubregatta war, gab es beim Heringsachter T-Shirts und nicht diese einmaligen Heringsmützen.

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